ORF-Wahl: Bewerber zum multimedialen Newsroom

Die Bewerbungskonzepte der aussichtsreichsten Kandidatinnen und Kandidaten für den ORF-Generaldirektorenposten weisen Vorstellungen zum derzeit in Bau befindlichen multimedialen Newsroom am Küniglberg auf. Auch wenn sich die Ansichten der Bewerber in vielerlei Hinsicht decken, besteht Konfliktpotenzial im Hinblick auf Zeitpunkt und Struktur der zu bestellenden Führungspositionen.

Binnenpluralismus und Unabhängigkeit müssen auch im neuen multimedialen Newsroom erhalten bleiben. Dieses Anliegen teilen der amtierende Generaldirektor Alexander Wrabetz, ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann und ORF 1-Channelmanagerin Lisa Totzauer, wie aus den der APA vorliegenden Konzepten der drei Medienmanager hervorgeht. Auch betonen alle drei, dass taktgebende Sendungen wie beispielsweise diverse „ZiBs“ oder Ö1-Journale als starke Sendungsteams erhalten bleiben müssen, während parallel multimediale Fachressorts und ein zentraler Newsdesk etabliert werden. Auch von Raum für investigative Arbeit ist die Rede. Dass ein Führungsteam und kein zentraler Chefredakteur für den multimedialen Newsroom eingesetzt werden soll, steht ebenfalls außer Frage.

Bei der Struktur bzw. wie diese besetzt werden soll, gehen die Meinungen auseinander. „Je ein Mitglied des Newsroom-Managements soll für die Angebote im Bereich Video, Audio und Online sowie digitale Innovation letztverantwortlich sein“, skizziert Wrabetz sein Vorhaben. Die Mitglieder des Newsroom-Managements sollen zudem an unterschiedliche Mitglieder der Geschäftsführung berichten.

Der multimediale Newsroom soll schrittweise ab 2022 in Betrieb genommen werden. Die Führungspositionen will Wrabetz noch heuer vergeben, wie er auch in seinem Bewerbungskonzept ausführt. Bis 30. September werde eine genaue Ausarbeitung der Struktur erfolgen, bis 31. Dezember die „relevanten Führungspositionen“ besetzt. „Eine Verzögerung dieses Prozesses würde zu Unklarheit im entscheidenden Jahr 2022, Demotivation und Desorientierung von Mitarbeiter/innen führen und die Betriebssicherheit bei Start des multimedialen Newsrooms gefährden“, schreibt Wrabetz.

Weißmann sieht bei den Mitarbeitenden jedoch schon einen gewissen Vertrauensverlust in das Großprojekt gegeben: „Seit Jahren wird der Bereich des multimedialen Arbeitens aufbereitet, erörtert, diskutiert und ausprobiert. Echte Festlegungen zur Zusammenlegung von Redaktionen wurden ausgespart, die dahinter liegenden Konflikte vertagt. Es ist kein Wunder, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die multimediale Zusammenarbeit längst als Damoklesschwert wahrnehmen und in dieser Hinsicht Vertrauen verloren haben.“

Es sei Zeit, „dass wir endlich damit beginnen, das Wissen und die Spielregeln, die sich alle Beteiligten im Lauf der letzten Jahre theoretisch angeeignet haben, anzuwenden.“ Organisationsstruktur und -kultur hätten jedoch „akuten Überarbeitungsbedarf“, meint der ORF-Vizefinanzdirektor. „Auch wenn der Newsroom jetzt fertig gebaut ist – die Organisation darf nie einzementiert sein“, so Weißmann.

Er gliedert die Implementierung der neuen multimedialen Führungsstruktur in zwei Phasen: „In der Phase eins der rund sechs Monate dauernden Übersiedlung in den multimedialen Newsroom werde ich die aktuellen Strukturen bestehen lassen, damit die Tagesarbeit in Radio, Fernsehen und Online ohne gröbere Hindernisse erledigt werden kann.“ Parallel dazu sollen Vorarbeiten für die neue, multimediale Führungsstruktur gemeinsam durchgeführt, Workflows aufgesetzt und notwendige Einschulungen durchgeführt werden. Erst wenn die neuen Strukturen und Workflows etabliert sind, will Weißmann eine neue multimediale Chefredaktion die Arbeit aufnehmen lassen.

Dass der amtierende Generaldirektor knapp vor der Amtsperiode des nächsten ORF-Chefs noch Führungspositionen besetzen will, nahm Weißmann bei Ankündigung seiner Bewerbung gelassen. „Der aktuell gewählte Generaldirektor ist bis Ende des Jahres im Amt. Wie ich den Generaldirektor kennengelernt habe, vertraut er aber auf Kooperation bei den Bestellungen“, so der Vizefinanzdirektor des ORF. „Ich gehe davon aus, dass es ein einvernehmliches Vorgehen im Falle einer neuen Geschäftsführung gibt“, meinte auch Totzauer.

Sie strebt eine Informationsdirektion an, Wrabetz und Weißmann nicht. Die Informationsdirektion soll alle Informationsangebote des ORF im Radio, im TV, online sowie auf Social Media verantworten. Ihr zugeordnet sind die Chefredakteure und Chefredakteurinnen des neuen, multimedialen Newsrooms – jeweils eine Person für TV, Radio und Online -, führt die ORF 1-Channelmanagerin aus, die in Interviews mit newsroomkritischen Aussagen auffiel. „Wir sehen international, dass sich die ganz großen Newsrooms wieder zu kleineren Einheiten rückbilden. Das große Zukunftsthema ist mobiles, flexibles Arbeiten“, meinte sie etwa gegenüber der APA.