Personalisierte Streams am Smartphone, Geotargeting und smarte Artikel: Weltweit entwickeln renommierte Medienhäuser Lösungen zur Personalisierung von Nachrichten.
Es war ein großes Experiment: Mit 670.000 Euro hatte Google das Projekt durch die Digital News Initiative gefördert. Ein Jahr lang investierten fünf Mitarbeiter einen Teil ihrer Arbeitszeit in NZZ Companion. Und mehr als 400 Nutzer testeten die App mit personalisierten Inhalten der Neuen Zürcher Zeitung. Im Sommer wurde der Test abgeschlossen. Das Ergebnis war ein mehrfach verbesserter Algorithmus zur Personalisierung von Nachrichten, der bald auch in anderen digitalen Produkten der NZZ eingesetzt werden könnte. „Zeitpunkt kann ich zwar keinen nennen“, sagt Rouven Leuener, der nach dem Abgang von Anita Zielina den Bereich Digitale Produkte interimistisch verantwortet. „Aber Elemente aus NZZ Companion werden wir in Zukunft in weiteren Produkten finden.“
Mehrwert statt Scheuklappe. Die personalisierten Inhalte wurden bei NZZ Companion nicht isoliert angeboten, sondern als zusätzlicher Kanal neben einem Stream mit regulären NZZ-Inhalten. „Wir verstehen Personalisierung als optionales Werkzeug für Nutzer“, sagt Leuener. Mehr personalisierte Inhalte, ohne dabei die Gatekeeper-Funktion der Redaktion zu schwächen. Der Nutzer soll präsentiert bekommen, was ihn interessiert, aber nicht in einer Filterblase hängen bleiben. Vor dieser Herausforderung stehen international viele große Medienunternehmen mit hohem Qualitätsanspruch. Und um eine Lösung zu finden, wird intensiv getestet. So arbeitet das US-Team des Guardian im Mobile Innovation Lab beispielsweise an mehreren Personalisierungs-Projekten. Und selbst bei der New York Times, die bisher nicht durch Personalisierung aufgefallen ist, werden im Hintergrund laufend kleine Experimente rund um individualisierte Inhalte durchgeführt.
Du bist, wo du bist. Die wichtigsten Nachrichten des Tages würden auch in Zukunft von der Redaktion ausgewählt werden, so Caroline Que, Editorial Director für den News Desk bei der New York Times. „Aber daneben sehen wir Raum für Personalisierung.“ Seit einigen Monaten beschäftigen sich mehrere Teams damit, wie man die vielen Artikel, Videos und Grafiken, die die Times täglich produziert, gezielter verteilen kann. Besonders viel Erfahrung habe man mittlerweile mit standortbezogener Personalisierung gesammelt. „Wenn Sie täglich in New York unterwegs sind, macht es Sinn, Ihnen auf der Homepage eine New-York-Story zu zeigen. Wenn Sie sich nicht in New York aufhalten, zeigen wir Ihnen stattdessen eine andere Story“, sagt Que. Derzeit arbeitet man bei der Times an einem neuen Design für die Startseite. Mit diesem soll im kommenden Jahr auch vermehrt Geotargeting eingesetzt werden. Aktuell werde außerdem an einem System getüftelt, um kleine, standortbezogene Personalisierungen in Texten vorzunehmen. „Hier geht es etwa um Maßeinheiten, zum Beispiel Umrechnungen von Zoll in Zentimeter oder von einer Währung in die andere.“
Der Faktor Zeit. Die Startseite der New York Times könnte sich in Zukunft auch verändern, je nachdem, wann und wie häufig man sie besucht. Derzeit müssen selbst große Storys auf der Startseite nach wenigen Tagen oder sogar Stunden neueren Geschichten weichen. Damit entgehen sie jenen Besuchern, die nicht rechtzeitig auf der Website sind. „Ich glaube, das ist eine der zentralen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen“, sagt Que. Man experimentiere damit, besonders wichtige Artikel für jene Besucher, die noch nicht auf diese Artikel geklickt haben, länger prominent zu platzieren.
Noch einen Schritt weiter geht der US-Guardian in einem aktuellen Experiment.Mit einem neuen Artikelformat, den sogenannten Smarticles, bringt das Team des Guardian Mobile Innovation Lab die Personalisierung auf Basis von Nutzungsintensität auf Artikel-Ebene. Die smarten Artikel erkennen, ob es sich um einen neuen Leser handelt oder um einen, der den Artikel bereits gelesen hat.
Wir sind ständig in der Experimentierphase. Wiederkehrende User bekommen Basisinformationen zu einem laufenden Ereignis nicht mehr angezeigt, neue User werden hingegen mit wichtigen Ausgangsinformationen versorgt.
Du willst, was du klickst. Im Guardian Mobile Innovation Lab experimentiert man außerdem an einem weiteren Personalisierungsdienst. LabRdr ist eine App, mit der man Nachrichteninhalte offline lesen kann, also zum Beispiel, wenn man unterwegs in der U-Bahn weder auf Handy-Empfang noch auf WLAN zugreifen kann. Die Inhalte werden dabei darauf zugeschnitten, wann und wie lange man täglich unterwegs ist und nach dem eigenen Leseverhalten ausgewählt.
Personalisierung nach Interessen der Nutzer wird auch bei der New York Times experimentierweise eingesetzt. Caroline Que gibt ein Beispiel: „Ich weiß von einer Nutzerin, dass sie seit ihrer Registrierung vor sechs Jahren kein einziges Mal auf einen Koch-Artikel geklickt hat. Und ich weiß, dass Sie sich sehr für Sport interessiert – entweder aufgrund ihres Klick-Verhaltens oder weil sie dieses Interesse selbst angegeben hat. Dieser Nutzerin zeige ich anstelle eines Kochartikels einen Sport-Artikel.“ Que betont allerdings, dass diese Form der Personalisierung vermutlich nicht für aktuelle Nachrichten eingesetzt werden wird.
Das Wissen darüber, für welche Themen sich ein Nutzer wahrscheinlich interessiert (etwa aufgrund gelesener Artikel und abonnierter Newsletter), werde fallweise auch bei Push-Benachrichtigungen eingesetzt, erklärt Que: „Bei einer tollen Buchrezension könnten wir zum Beispiel ausschließlich an jene Nutzer Push-Benachrichtigungen schicken, die im vergangenen Monat mindestens drei Buchrezensionen gelesen haben.“
Dialog mit den Nutzern. Von plumpen Vorschlägen auf Basis des eigenen Klick-Verhaltens, wie man sie etwa von Online-Händlern kennt, hält Rouven Leuener wenig. Der Personalisierungsalgorithmus von NZZ Companion wirft nicht einfach Artikel zusammen, die zum Nutzerverhalten passen. Stattdessen würden Artikel detailliert nach zahlreichen Attributen bewertet, erklärt Leuener. Außerdem werde berücksichtigt, was andere, ähnliche Nutzer der App gerne lesen. Und an oberste Stelle stehe Folgendes: „Wir sehen uns an, inwiefern ein Artikel von der Redaktion als relevant eingestuft worden ist.“
Für Leuener zeichnet sich das Projekt NZZ Companion auch durch einen intensiven Dialog mit den Nutzern der App aus. Man habe immer wieder Feedback eingeholt und den Algorithmus so ständig verbessern können. Außerdem habe man durch Befragungen erkannt, dass Nutzer verschiedene Erwartungen hatten: Manche waren vor allem an News interessiert, andere erhofften sich im personalisierten Stream eher interessante Artikel mit langlebigem Charakter. „Aus dem Nutzerbedürfnis nach mehr Inhalten mit einer langen Halbwertszeit haben wir schließlich ein eigenes Datenprodukt gemacht: Artikel zum Wochenende“, sagt Leuener.
Von Experiment zu Experiment. Dass die New York Times das Thema Personalisierung ernst nimmt, erklärte CTO Nick Rockwell bereits vor eineinhalb Jahren im Gespräch mit dem MedienManager. Personalisierung werde „mehr und mehr Teil unserer DNA werden“, so Rockwell damals. Vom Testen von Ideen und dem Auswerten von Versuchen rund um personalisierte Inhalte scheint man jedenfalls noch nicht genug zu haben. „Wir sind ständig in der Experimentierphase“, sagt Caroline Que.