Print versus Online?

In vielen Fällen ist es eine andere Frage, die sich stellt, denn es wird zunehmend komplexer!

Bereits im 17. Jahrhundert erkannte der Philosoph John Locke: „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war.“ Nicht nur beim Einkaufen nehmen wir sämtliche Reize aus der Umwelt ausschließlich über unsere fünf Sinne wahr. Das Gros davon jedoch unbewusst mit unserem impliziten Denksystem im Gehirn. Dieser Autopilot scannt, verarbeitet und filtert alle auf uns eintreffenden Umweltreize – und das mit einer Rechenleistung von 11 Millionen Bits pro Sekunde! Er dekodiert die Bedeutung der eingegangenen Signale und bewertet sie danach, ob sie uns einen relevanten Nutzen bieten. Wenn ja, ist die Kaufentscheidung so gut wie getroffen. Oftmals äußert sich das als Bauchgefühl, wenn sich etwas intuitiv „richtig“ anfühlt.*)

Es gelangt somit nur in unser Bewusstsein, was als nutzenbringend erkannt wird. Und was das ist, weiß unser Autopilot. Der Vorgang selbst bleibt unserem Bewusstsein verschlossen. Dennoch geht dieses Bewusstsein scheinbar selbständig einkaufen und trifft eigenständige Entscheidungen. Vertraut man den neuesten Erkenntnissen der Neuropsychologie, so ist das Bewusstsein hier lediglich der verlängerte Arm des Denksystems im Gehirn und verfügt maximal über ein Einspruchsrecht bei Kaufentscheidungen. Fazit: Wer es schafft, unser Denksystem durch gezieltes und immer wiederkehrendes Reizen unserer Sinne zu manipulieren, hat seine Produkte in unserem Einkaufswagen. Einen Beweis dafür liefert uns die Lebensmittelbranche in Verbindung mit ihren Eigenmarken. Zwei oftmals völlig idente Produkte mit unterschiedlicher Aufmachung und Marke. Die Eigenmarke ist meist optisch und haptisch einfacher aufgemacht und vom Preis her billiger, die andere hip, ansprechend und entsprechend teurer. Prüft und verkostet man den Inhalt, kann man in vielen Fällen keinen Unterschied erkennen. Ein persönliches Experiment, das ich vor 25 Jahren mit meinem damals 5-jährigen Sohn machen durfte, beeindruckt mich in diesem Zusammenhang bis heute. Motiviert durch kreative und hoch emotional gestaltete Werbung wurde mein Sohn zum begeisterten Fan einer bestimmten Ketchup-Sorte, die für ihn in seiner Wahrnehmung bald der Inbegriff für „Ketchup“ war. Dass es sich hier um die teuerste Marke, mit der werblich aufwändigsten Ansprache von Kindern handelte, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Als eines Tages eine andere Marke im Einkaufswagen und dann auf dem Tisch landete, war der Unmut unseres Fünfjährigen groß. Mit viel Mühe konnten wir ihn zum Kosten des Ketchups aus der fremden Verpackung überreden. Während meine beiden Töchter, meine Frau und ich geschmacklich keinen Unterschied zur traditionellen Marke feststellen konnten, verweigerte Sohnemann nach kurzer und entrüsteter Verkostung das, wie er es nannte, „fremde Zeug“. Jetzt war mein Spieltrieb geweckt! Da ich wusste, dass wir noch eine Restmenge Ketchup seiner Marke zu Hause hatten, wusch ich diese Flasche gründlich aus und füllte das „fremde Zeug“ in die Markenflasche und brachte sie ihm freudestrahlend! Glücklich ertränkte er seine Pommes in der roten Sauce und aß, als gäbe es kein Morgen. Nach dem Essen lobte er die Einzigartigkeit „seiner“ Ketchupmarke. Nachdem mein Sohn schon damals mit viel Humor gesegnet war, hatte ich kein Problem damit ihm von meinem Experiment zu berichten. Letztlich hatten wir alle unseren Spaß.

An Hand dieses Beispiels lässt sich erkennen, dass mein kleiner Sohn durch Form, Aufmachung und optischer Wirkung seiner Ketchupflasche bereits völlig gebrainwashed war und das war zweifellos einer hoch professionellen Werbestrategie geschuldet. Was letztlich zählte, waren die äußere Form, die Haptik und die Emotionen, die hier bewusst entwickelt und im Gehirn unseres Sohnes gezielt eingepflanzt worden waren. Das Ergebnis: eine Emotion die dazu führt, dass der Rest überlagert und so bewusstes Reflektieren ausgeschaltet wird.

Die Macht der fünf Sinne

Wer sich von anderen unterscheiden möchte, muss im Idealfall alle fünf Sinne ansprechen! Die von mir bereits mehrfach zitierte Metaanalyse „The Power Of Print“ von Olaf Hartmann & Sebastian Haupt bietet hierzu nicht nur exzellente Anregungen, sondern auch umfassendes Hintergrundwissen. In ihrem Werk raten sie zu „Sinneskongruenz“ und zielen dadurch auf eine Wirkungsexplosion bei Zielgruppen ab. Die digitale Welt findet hier keine Anwendung und sie ermutigen dabei, sich mit den vielfältigen Möglichkeiten der Printwelt zu befassen. „Print ist eines der wenigen Medien, mithilfe derer Marken multisensorisch kommunizieren können. Unsere Sinne lassen sich mit verschiedenen Veredelungseffekten ansprechen: visuell (z. B. Farben, Formen), haptisch (z. B. Textur, Gewicht, Temperatur), olfaktorisch (z. B. mit Duftlack) und sogar akustisch (z. B. der Klang beim Berühren oder der eines Öffnungsmechanismus). Damit haben Printmedien einen bedeutsamen Vorteil, denn wie bereits erwähnt, reagiert das menschliche Gehirn besonders stark, wenn es eine Botschaft über mehrere Sinne empfängt.“ So die Autoren. Derartige Erkenntnisse der Neuropsychologie werden gerne übersehen und sind der Masse der werbetreibenden Unternehmer noch gar nicht bewusst. Stattdessen dreht sich alles um die ewig gleiche Frage im Kommunikations- und Medienmanagement: „Was erzielt mehr Reichweite? Print oder Online?“. Übersehen wird hier die Tatsache, dass es auf lange Sicht nicht ausreichen wird, Menschen medial zu erreichen. Wenn eine gesättigte Zielgruppe zum Kauf motiviert werden soll, muss es in Zukunft auch gelingen, sie zu berühren. 

Leseempfehlung:

„The Power of Print“ Die Metaanalyse zur Werbewirkung von Print.
ISBN 978-3-00-060376-1.

Erhältlich unter www.f-mp.de

*) Scheier & Held, D. (2012a). Was Marken erfolgreich macht: Neuropsychologie in der Markenführung (3. Auflage). Freiburg: Haufe.
**) Krishna, A, Lwin, M. O., & Morrin, M. (2010). Product Scent                       and Momory. Journal of Consumer Research, 37, 57–67.