Wirre Zeiten: Globalisierung, Lobbyismus, Plutokratie … Planwirtschaft?

Die Veränderungen dieser Zeit kommen manchem Unternehmen wie eine Power-Rafting-Fahrt vor. Wichtige Entscheidungen können häufig nur spontan und situativ getroffen werden. Millionen von Unternehmen leben auf Kosten des Staates. Passiert da gerade ein Reset? Und wird dann alles besser?

Unsere globalisierte und digital vernetzte Welt ist unvorstellbar komplex. Immer mehr Spezialisierungen und Fachgebiete entstehen in sich exponentiell verkürzenden Zyklen. Man könnte auch sagen: Sicher ist, dass nichts sicher ist, und selbst das ist nicht mehr sicher.
In diesem turbulenten Umfeld wissen auch Experten längst nicht mehr alles. Doch wenn wir der Wahrheit wenigstens näher kommen wollen, müssen wir genauer hinsehen. Gerade zu Corona-Zeiten flammte die Diskussion über Fake News erneut auf. Im selben Tempo, in dem unser Leben komplizierter wird, verblöden wir: etwa durch häufigeres Lesen von nur Headlines oder durch den Konsum von Belanglosem in den sozialen Medien.

Globalisierung ist seit Tausenden Jahren Realität. „Globalisierung“ ist so ein Begriff, den wir nicht wirklich verstehen. Zwei Seiten, zwei Interpretationen. Dann wird es kompliziert. Häufig wird der Begriff nämlich reflexartig mit allerlei Bösem assoziiert. Doch lässt sich nicht leugnen, dass die Globalisierung Fakt ist, unser aller Alltag. Die Globalisierung lässt sich nicht einfach abschalten – sie reicht sogar bis in die Antike zurück, war also mehr oder weniger schon immer da. Alexander der Große lässt grüßen, der König von Makedonien, der das größte Reich in der Geschichte der Antike schuf – und das war bereits raffiniert international verwoben – nebst vielen weiteren Großmächten der Geschichte, die zumeist auch regen Handel trieben und sich kulturell austauschten.
Wäre unsere Welt mit einem Fingerschnippen entglobalisiert, würde bei vielen von uns womöglich die Unterwäsche vom Gesäß rutschen – denn wahrscheinlich steckt auch in Ihrem Stretchbund irgendeine Zutat aus aller Welt – wir hätten auch keine funktionierenden Smartphones mehr, unsere Autos blieben stehen, das Internet und die Gesundheitsversorgung brächen schlagartig zusammen. Dies und so vieles mehr würde ruckzuck nicht mehr funktionieren. Wir würden unsere Welt nicht mehr wiedererkennen.

Die Globalisierung hat wenigstens so viele gute wie schlechte Seiten. Der Kolonialismus war zumeist schlecht. Kultureller Austausch, fairer Handel oder Bildungstransfers waren positive Folgen.
Anerkennen wir, dass die Globalisierung positive und negative Aspekte hat. Und überhaupt, dass sie seit Jahrtausenden Realität ist. Dann können wir im zweiten Schritt proaktiv und wirkungsvoll am guten Gelingen mitwirken. Hören wir auf, uns wie Grundschüler zu verhalten und Realitäten zu verweigern oder Alternativen zu verklären. Auch pauschal alle Konzerne zu verteufeln, die global agieren. Nicht ohne Grund sind auch viele NGOs global unterwegs. Auch viele Industrieverbände und Institutionen organisieren sich global. Angesichts der ebenso globalen Herausforderungen der Menschheit, wie dem Klimawandel, ist das auch gut so.

Lobbyismus ist kein Schimpfwort. Lobbyismus – ein weiterer Begriff, der negative Assoziationen hervorruft. Beim Lobbyismus-Begriff greifen wir schnell zum Klischee to go – und ziehen gerne ein Weltbild aus der Schublade. Doch auch Lobbyisten sind Realität. Und zumeist nützlich.
Oft denken wir an die Automobil-, Öl-, Chemie- oder Finanz­industrie. Hier sind Lobbyisten von Konzernen am Werk, die tatsächlich selten Gutes im Schilde führen. Der Begriff hat hier leider häufig zu Recht negative Konnotationen. Interessenverbände treten deshalb mittlerweile sogar schon unter anderen Bezeichnungen auf, etwa: Public Affairs oder Politikberatung – doch das ändert nichts an der eigentlichen Funktion bzw. Existenz vom Lobbyismus an sich.
Grundsätzlich sind auch NGOs wie Greenpeace, der WWF, Robin Wood und andere Organisationen wie der FSC, Climatepartner oder Nature-Office Lobbyisten (vgl. Definition Umweltlobbyismus). So wird deutlich, wie elementar wichtig Lobbyarbeit grundsätzlich auch für den Umweltschutz ist. Und natürlich bringen zum Beispiel auch Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Kirchen und andere Organisationen ihre Themen gezielt in den politischen Meinungsbildungsprozess ein – es geht gar nicht anders. Wie denn?
Lobbyismus ist eine aus dem Englischen übernommene Bezeichnung für eine Form der Interessenvertretung in Politik und Gesellschaft, bei der Interessengruppen, die Lobbys, Einfluss auf die Legislative nehmen wollen. Klar ist doch: Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sollten unbedingt im Dialog bleiben. Wieder stehen wir vor den zwei Seiten eines Begriffes, und ich denke: Da wenige Autofahrer mit Überschreitungen des Tempos geblitzt werden, könnte die Schlussfolgerung falscher nicht sein, dass alle Autofahrer Raser sind.
So ist es auch mit dem Lobbyismus und der globalisierten Industrie.

Plutokratie versus Planwirtschaft. Leben wir jetzt in der Coronakrise eigentlich schon in einer neuen Wirtschaftsform? Etwa schon in einer Planwirtschaft? Das ist besonders bei der gegenwärtigen Corona-Euphorie und dem Alarmismus ein viel diskutiertes Thema. Während die Herrschaft des Geldes ebenfalls sehr weit in die Geschichte zurückreicht und stets ihre Tücken hatte, waren Planwirtschaften bisher generell nicht sonderlich erfolgreich, trotz der vielen Versuche. Wobei „Erfolg“ eine Sache der Definition ist.
Erleben wir jetzt gerade eine ganz neue, bisher nie dagewesene Wirtschaftsform? Ein hybrides System als ein Art von plutokratischer Planwirtschaft mit (hoffentlich) sozialer Komponente?
Jedenfalls wird das in den Medien seit der Krise lebhaft diskutiert. Plötzlich scheinen Veränderungen möglich, für die es bisher Jahre gebraucht hätte. Menschen arbeiten freiwillig weniger – die Viertagewoche ist in aller Munde.
Da die Europäische Zentralbank selbst marode Unternehmen teils direkt finanziert hat, die sonst (und letztlich wohl auch mit diesen Finanzspritzen) keine Chance mehr im Wettbewerb hätten, waren die Wirtschaftsaufschwünge häufig doch nur reine Fiktionen. Adrenalin bestenfalls, zumeist aber nur ein Defibrillator-Stoß für einen längst toten Patienten. Auch in der Druckbranche wurden immer effizientere und leistungsfähigere Maschinen teils subventioniert, konkret: Maschinenbauer wurden mit Kapital versorgt, die sodann großzügige Verkaufsangebote an ihre Kunden offerieren konnten. So haben die Druckereien zunehmend effizient in längst gesättigte Märkte hinein produziert. Immer mehr, immer schneller! Die Folge dieser politischen Agenda: Anstelle einer Inflation, die aufgrund der Geldschwemme hätte erwartet werden können, kam es eher zu einer Deflation, denn Überproduktionen müssen raus, koste es, was es wolle. Die Preise für viele Produkte fielen, und die Produktionszeiten halbierten sich nicht selten – mit der Folge von Stillständen. Der Deal „wir finanzieren euch bis zum Abwinken, dafür haltet ihr die Arbeitsplätze“ funktionierte nicht mehr.

Willkommen in der digitalen, plutokratischen Planwirtschaft. Niemand weiß derzeit, wo die Reise hingeht. Allen ist jedoch bewusst, dass jetzt gerade etwas Historisches vor unseren Augen passiert. Experten sind sich einig, dass ein Reset der Wirtschaft ohnehin alternativlos war. Einigen Unternehmen geht es jetzt sogar besser als vorher, nicht nur Digitalriesen vergleichbar mit der „GAFA“-Fraktion (Google, Amazon, Facebook, Apple). Daneben freuen sich viele kleinere und mittelständische Unternehmen gerade sehr über das KUG, das Kurzarbeitergeld für Mitarbeiter. Die müssen zwar mit weniger Geld auskommen, brauchen dafür aber morgens nicht mehr so früh aufzustehen. Schon ist von der ständigen Halbarbeit die Rede und immer häufiger auch wieder vom Helikoptergeld: All out! 1.200 Euro für jeden. Jeden Monat.
Unglaublich, aber wahr: Derzeit beziehen allein in Deutschland wenigstens 5,6 Millionen Menschen KUG, powered by Bundesregierung. Lufthansa? Halbstaatlich. Commerzbank? Verstaatlicht. Mehrwertsteuersenkungen für die Werktätigen? Ruckzuck beschlossen! Subventionen für Unternehmen? Kein Thema! Fördermittel für Selbstständige und Kleinunternehmer? Binnen weniger Wochen ausgekehrt. Daneben bitten schon 14 weitere Großkonzerne um Fördergelder und Staatsbeteiligung, berichtet Spiegel Online im August 2020 – und so geht es weiter.
Tendenziell ist das nichts anderes als eine Planwirtschaft, und doch anders. Quasi eine plutokratische Planwirtschaft, denn der kapitalistische Neoliberalismus lebt, und mit ihm sind unvorstellbare Gier und Egoismus an der Tagesordnung. Die Vorstände der von der Regierung mit Millionen Euro unterstützten Unternehmen denken nicht einmal im Traum daran, auf ihre üppigsten Gehälter zu verzichten.


Jürgen Zietlow