Marketing im Zeitalter künstlicher Intelligenz

Alexa, Siri und Co. machen es vor: Virtuelle persönliche Assistenten übernehmen die alltäglichen Besorgungen für ihre Nutzer. Nun stellt sich die Frage: Wenn nicht mehr der Mensch einkauft, wer ist dann die Zielgruppe für Werbung?

Es ist Freitagabend, eine lange Arbeitswoche ist zu Ende. Peter sitzt in seiner Ein-Zimmer-Wohnung in London und fühlt sich einsam. Draußen wütet ein Sommergewitter. Da fällt es schwer, sich aufzuraffen und die nötigen Zutaten für das Abendessen zu besorgen. „Alexa, open Domino’s.“ Eine Frauenstimme aus der anderen Zimmerecke fragt nach, ob er seine letzte Bestellung erneut aufgeben möchte. Peter bejaht, er erhält eine Zusammenfassung der Bestellung, und seine Lieblingspizza wird geliefert. Seit Juli können nun erstmals in Europa (bisher ausschließlich in Großbritannien) über die Spracherkennungssoftware Alexa von Amazon Pizzen bestellt werden. Vorher muss lediglich der Skill „Domino’s Pizza“ installiert werden. Es muss kein Pizzalieferdienst mehr gesucht und aufgerufen werden, die Bestellung läuft automatisch über die Erweiterung. Zusätzlicher Bequemlichkeitsfaktor: Durch den GPS-Tracker kann das Programm Lieferstatus und Entfernung in Echtzeit angeben. Außerdem hilft die virtuelle persönliche Assistentin (VPA) auf Zuruf beim Einschlafen und bei der Motivation fürs Workout und weiß auf die allermeisten Fragen eine Antwort. Damit ist Amazon Vorreiter darin, die Nutzung künstlicher Intelligenzen in unseren Alltag zu integrieren. Partner fürs Leben. Über Erleichterungen des täglichen Lebens hinaus erfüllt Alexa laut einer Martkforschungsstudie des rheingold institut auch tiefenpsychologische Ur-Sehnsüchte: Sie ersetzt für einige Probanden Partnerin und Lebenscoach oder wird als Ego-Booster eingesetzt. Auch durch diese scheinbar positiven Nebeneffekte vertrauen immer mehr User ihre Daten Alexa an. Am diesjährigen Prime Day wurden weltweit siebenmal so viele Alexa Produkte verkauft wie im Vorjahr. Offizielle Verkaufszahlen gibt es von Unternehmensseite keine. An den Erfolg von Alexa und Googles Pendant Google Home will nun auch Apple anknüpfen: Laut Ankündigung kommt Ende dieses Jahres der HomePod auf den Markt, die Homestation für Siri. Damit sind künstliche Intelligenzen bereits im Alltag vieler Menschen angekommen. Eine erste Anwendung selbstlernender Systeme, die unabhängig von installierten Erweiterungen Vorschläge machen, findet sich bei der virtuellen persönlichen Einkäuferin Gwyndes milliardenschweren Blumen und Geschenklieferanten 1-800-Flowers in den USA. Gwyn, die auf der Basis von IBMs Supercomputer Watson entwickelt wurde, sammelt alle Daten über Geschenkvorlieben der Käufer, fragt nach und macht selbstständig Vorschläge. Der Nutzer muss also nicht mehr selbst recherchieren, sondern kann sich an Empfehlungen und Vorauswahl seiner VPA orientieren. Doch nach welchen Kriterien wählen die künstlichen Intelligenzen die Vorschläge für ihn aus? Vorstufe Suchmaschinenoptimierung. Erste Ideen lassen sich an den Entwicklungen der Suchmaschinenoptimierung (SEO) ablesen, so Michael Katzlberger, Geschäftsführer der Wiener Werbeagentur Tunnel23 und Experte für den Einsatz künstlicher Intelligenzin der digitalen Werbung. In den Frühzeiten des Internets spuckten Suchmaschinen zur Suchanfrage passende Websites noch relativ ungefiltert aus, und die erste Website zum gesuchten Thema wurde gelesen. Durch das steigende Websiteangebot wurde die SEO entwickelt, um Websites in der Trefferanzeige zu hierarchisieren und wachsenden Spamseiten beizukommen. Seitdem treffen spezielle Algorithmen eine Vorauswahl anhand des Standorts des Nutzers, sie werten Websites nach URL, Meta-Tags oder robotstxt-Dateien im html-Dokument aus, um passende Schlagwörter oder zur Suchanfrage passende Kurzbeschreibungen und Links zu finden. Auch Nutzerbewertungen beeinflussen Suchmaschinen positiv. Der große Unterschied zwischen Suchmaschinen und VPA ist die Trefferzahl: Während Google zehn Treffer pro Seite liefert, geben digitale Assistentinnen wie Alexa nur einen einzigen Vorschlag. „Wer sich diesen einen Treffer sichert, wird gekauft. Daher ist es derzeit für Werber am attraktivsten, sich beim Großkonzern einzukaufen und Skills für Alexa zu schreiben. Diese Entwicklungen werden massive Auswirkungen auf die Marken haben“, prognostiziert Katzlberger. Eine ähnliche Entwicklung sieht Christine Antlanger-Winter, Chief Strategy & Digital Officer bei Mindshare Austria: „Eine starke Marke wird daher in jedem Fall ein entscheidendes Asset sein. Allerdings wird sie in Zukunft nicht mehr nur um die Aufmerksamkeit kämpfen müssen, sondern auch darum, es in das Relevant Set des Algorithmus zu schaffen.“ Noch sieht es bei Alexa aus wie in den Urzeiten des Internets: Wer einen Deal mit Amazon eingeht und sein Produkt als Skill anbieten lässt, sichert sich das Vorrecht, konsumiert oder gekauft zu werden. „Die Regeln bestimmen die Großkonzerne“, bedauert Katzlberger, „bisher werden alle Daten unter Verschluss gehalten, nicht einmal Verkaufszahlen werden von Amazon oder Google weitergegeben.“ Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis das wirtschaftliche Potenzial dieser Entwicklungen entdeckt wird und durch das steigende Angebot die VPA-Optimierung beginnt. Marketing für Maschinen. Niemand weiß, wie die Kaufentscheidungen intelligenter Systeme in Zukunft ablaufen werden. Zukunftsforschern scheinen verschiedene Möglichkeiten plausibel, beispielsweise Rückfragen zu spezifischen Produktvorlieben, vordefinierte Präferenzen, Empfehlungen einzelner Produkte auf der Basis gesammelter Daten zu Wiederholungskäufen oder Verhaltensmustern oder der Verweis auf Kaufentscheidungen anderer Nutzer. In dem Fall, dass das Gerät ohne Rückfragen selbst entscheidet, wird der Erfolg eines Produkts davon abhängen, wie gut es an Maschinen vermarktet wird. Um eine künstliche Intelligenz zu bestimmten Einkäufen zu bewegen, muss sie, wie der menschliche Konsument,vom Produkt überzeugt werden. Eine positive Kauferfahrung für ein System kann jedoch nicht durch freundlichen Kundenservice, hübsche Bilder oder emotionale Texte hergestellt werden. Neben einem guten Produkt, das nach wie vor entscheidend sei, seien andere Kriterien wichtig als bisher, so Antlanger-Winter: „Um bei der maschinell getroffenen Kaufentscheidung eine gute Ausgangslage zu haben, gilt es bei Sprachassistenten wie auch bei anderen stark datengetriebenen und durch Systeme und Algorithmen gestützten Käufe zu beachten, dass Bewertungen, eine starke Marke, gute Maschinen-Lesbarkeit der Informationen und Datenauswertung besonders wichtig sind.“ Weitere Marketingstrategien, die auf die spezifischen Bedürfnisse intelligenter Systeme angepasst sind, liefert der IT-Marktforschungsriese Gartner auf gartner.com: Um eine künstliche Intelligenz direkt ansprechen zu können, eignet sich demnach die Einrichtung eines exklusiven Channels für VPA. Außerdem lohnen sich Investition und Unterstützung der SEO-Entwicklung, damit gut bewertete Websites und Produkte leichter zu finden sind. Yes! Big Brother is watching me. VPA sammeln in der Cloud alle Daten ihrer Nutzer und agieren entsprechend. In den USA vernetzen sich verschiedene Maschinen bereits. So ist beispielsweise Gwyn mit Amazons Alexa und dem Facebook Messenger verknüpft. In der Verwendung intelligenter Systeme befürchten einige Nutzer die totale Datenüberwachung sowie Verlust ihrer individuellen Entscheidungsmacht. Immerhin hat der Algorithmus Zugriff auf Kaufgeschichte, Nutzerdaten, Bewertungen und Preisvergleiche.“ Anbieter wie Amazon sind in der Hoheit, was den Zugang zu den Nutzerdaten betrifft. Inwieweit Datenschutz regulierend wirken kann, muss sich erst zeigen, da solche proprietären Systeme alle Nutzerregistrierungen für die Funktionalität des Produkts benötigen und damit auch leicht Einverständniserklärungen für die Nutzung der Daten einholen können“, so Antlanger-Winter. Bei aller Skepsis gegenüber den Datenkraken erscheint der umfassende Service der neuen Heimassistenten nur allzu bequem, um die breite Bevölkerung nicht auf diesen Zug aufspringen zu lassen. „Aus meiner Sicht ist sie auch für Marketer eine geniale Möglichkeit, beim Kunden mit Innovation zu punkten, vor allem bei den Early Adopters. Denn jetzt entscheidet sich, auf welches Ökosystem die Menschen setzen werden, das ist ein Rennen wie zuletzt bei Android und iOS“, so Katzlberger, „gerade die Werbebranche ist prädestiniert dafür, diese neuen Technologien einzusetzen. Das Einkaufserlebnis wird durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz optimiert, indem man sich – um bei Alexa zu bleiben – durch Spracheingabe das mühsame Tippen spart. Google Home steckt ebenfalls in den Startlöchern, das wird den Markt zusätzlich noch aufwirbeln.“ Durch die Masse an gesammelten Daten weiß das Programm weit mehr als der Konsument, durch diesen umfassenden Blick und entsprechend hyperpersonelles Marketing ermöglichen VPA bessere Produkte und Websites. Der Nutzer findet schneller, wonach er sucht. Als Hüter der Kundendaten können digitale Assistenten den Menschen und seine Bedürfnisse vielleicht am besten einschätzen.  
v.l.n.r.: Michael Katzelberger, Tunnel23; Christine Antlanger-Winter, Mindshare