Das mediale Nachwuchs-Fiasko

Nachwuchssorgen, Fluktuationsprobleme, Illoyalität der Mitarbeiter? Schwierigkeiten dieser Art im Personalmanagement würde man einer schicken Branche wie der Medien- und Werbewelt nicht unbedingt zuschreiben.

Medienunternehmen und Agenturen haben jetzt den Mainstream in Sachen HR-Management erreicht: Es gibt zu wenig (qualitativ) gutes Personal, weder als Nachwuchs noch als beständige Mitarbeiter, ist zu hören. Vor allem der rasante technologische Wandel fordert mega-aktuelles Know-how der künftigen und bestehenden Belegschaft. Freilich lassen sich so manche Firmen schon ordentliche Goodies einfallen, um Mitarbeiter zu ködern und zu halten: Frühstücksbuffets, Ruheräume, Homeoffice und Zusatzurlaub. Doch scheinbar lassen diese Benefits die Mitarbeiterzahlen nicht nach oben schnellen. Ist die Lage tatsächlich so trist? Offensive. „Im modernen Mediengeschäft gibt es viele Tätigkeiten, die sich keinem klassischen Berufsbild zuordnen lassen“, erläutert Xenia Daum, Geschäftsführerin des Styria-Vermarkters SDO: „Entsprechend fehlen auch die Ausbildungswege für solche Aufgabenbereiche, und es mangelt an Nachwuchs.“ Die Folge: Auf dem doch sehr überschaubaren österreichischen Markt werden die wenigen Spezialisten gerne abgeworben, die Fluktuation steigt, und Dienstleistungen aus dem Ausland werden eben zugekauft. Bei SDO habe man das Glück, bei jeder Stellenausschreibung untervielen guten Bewerbungen wählen zu können, so Daum. Zudem habe man 2017 die „Digital Academy“ gestartet, im Rahmen derer Lehrlinge als Medienfachmann bzw. -frau in den Fachbereichen Medientechnik bzw. Mediendesign ausgebildet werden. Kombination. Christine Antlanger-Winter, CEO von Mindshare Österreich, identifiziert zwei Problemzonen: „Da wäre zum einen die Technik. Hier sollte der Fokus auf mehr Ausbildung gelegt werden, die die Technik und spezifische fachliche Skills kombiniert“, nennt sie die FH Hagenberg als gutes Beispiel. Bei Mindshare mache man prinzipiell „sehr gute Erfahrungen mit topmotivierten jungen Talenten, die vernetzt denken und gefordert sein wollen“, so Antlanger-Winter weiter. Elisabeth Plattensteiner, Vorsitzende des Forum Mediaplanung (FMP) sieht in der Suche nach Best Talents „wirklich eine Herausforderung“. Sie ist überzeugt, dass in Zeiten der immer weiter voranschreitenden Digitalisierung ein ganzheitlicher Blick am wichtigsten ist: „Interdisziplinär und vernetzt denkend brauchen Mitarbeiter ein tiefes Verständnis für das Business des Kunden und sollten dabei konsequent die Perspektive des Konsumenten einnehmen, um innovative Lösungen zu entwickeln. Das ist natürlich durch die fortschreitende Fragmentierung, Differenzierung und enge Experten-Nischen eine große Herausforderung.“ Schlussendlich sind aber Dienstleistung und Beratung ein „People Business“. Das FMP biete hier mit den TALK-Formaten ein Forum zum Austausch und zur Vertiefung an. Qualität. Ähnlich sieht dies auch media.at-Geschäftsführer und Mobile-Marketing-Association-Präsident (MMA) Andreas Martin: „Es liegt nicht an der Quantität der Absolventen einschlägiger Fachrichtungen, sondern tatsächlich oft an der – sozialen, nicht fachlichen – Qualität.“ Dennoch ist er im Moment nicht unzufrieden: „Wir haben einige Top-Leute bei uns im Team, mit wirklich hervorragenden Fähigkeiten. Im Bereich Recruiting gibt es bei Dentsu Aegis/media.at gezielte Aktivitäten im Bereich der Ausbildung.“ Herausforderung Millenial. Junge Arbeitnehmer suchen flexiblere Arbeitszeiten zugunsten der Work-Life-Balance und haben ein neues Verständnis von Zusammenarbeit und Hierarchie. So unterstützt Dentsu bereits seit Jahren den Lehrgang „Datengetriebene Kommunikation“ am WIFI, erzählt Martin: „Hier gibt es auch ein eigenes Trainee-Programm, und derzeit ist eine dieser Trainees bei media.at beschäftigt.“ Die MMA unterstütze schon seit Jahren die FH St. Pölten („Rookie Award“). Lücke schließen. Auf aktive Hilfe in Sachen Personalentwicklung setzt man auch im Interactive Advertising Bureau Austria (IAB Austria),wie Präsident André Eckert erzählt: „Der digitale Wandel schreitet so schnell voran, das institutionelle Ausbildungsangebote kaum Schritt halten können. Es liegt nicht am mangelnden Interesse, denn die Digitalbranche gehört zu den begehrten Arbeitgebern.“ Das IAB Austria schließt mit seinen Aus- und Fortbildungskursen eine Lücke zwischen institutioneller und praxisnaher Ausbildung und reagiert sehr rasch auf Trends, verweist Eckert unter anderem auf die bereits im letzten Jahr gestarteten Angebote zum Thema Programmatic Trading. Dennoch stellen die Millennials insgesamt die Arbeitgeber vor Herausforderungen, räumt der IAB-Präsident ein: „Arbeitszeitmodelle müssen flexibler werden – da muss auch der Gesetzgeber mitspielen. Laufende Aus- und Fortbildung sind ein Muss, um die Talente zu halten. Herkömmliche Motivatoren wie schöne Job-Bezeichnungen oder Gehaltssteigerungen verlieren im Vergleich zu persönlichen Motivationskriterien an Bedeutung.“ Personalentwicklung neu. Was wird sich mittelfristig im Zusammenhang mit Personalentwicklung in der Branche bzw. in den einzelnen Unternehmen tun? „Aufgrund mangelnder Nachwuchskräfte wird sich die Personalsuche der Branche stärker direkt auf Abgänger von Fachhochschulen und auch Schulen konzentrieren“, ist SDO-Geschäftsführerin Daum sicher: Meist werden Studierende oder Schüler schon während der Ausbildung in Unternehmen durch Praktika angelernt und dann übernommen.“ Somit wird die Ausbildungszeit stark verkürzt – die Spezialisierung erfolgt sehr frühzeitig.“ Mindshare-CEO Antlanger-Winter ist davon überzeugt, dass breites technisches Verständnis in allen Ausbildungen eine Rolle spielen sollte: „Das Arbeiten mit Daten und automatisierten Systemen ist die neue Basis. Das gibt den Stories hinter den Daten mehr Raum.“ FMP-Vorsitzende Plattensteiner will es so ausdrücken: „Die Digitalisierung hat auch in unserer Branche zu mehr Flüchtigkeit geführt. Es wurde mehr über Personalberater, unpersönlicher und in der Breite gesucht. Ich denke aber, dass es hier wieder zu einem Perspektivenwechsel kommen wird.“ Junge Talente suchen Coaches, denen sie vertrauen und die sie motivieren können. Plattensteiner: „Gesucht sind Lenker, die Menschen integrieren können. Wer in Zukunft Menschen befähigt, statt sie zu bevormunden, erntet Anerkennung und Loyalität. Wer das nicht versteht, erlebt Nomaden 4.0 – sie ziehen dahin, wo es Spannendes zu tun gibt.“ Ihr Tipp zum Schluss: „Neugier und die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zielorientiert und einfach zu lösen, sowie: keine Angst vor Algorithmen.“ Motivation. media.at-Geschäftsführer Martin sieht sowohl Spezialisten als auch Generalisten mit guten Beratungskompetenzen gefragt: „Besonders in der fragmentierten digitalen Welt suchen Kunden verstärkt nach Guides, die sie hochkompetent beraten.“ Je komplexer die Technologien (Stichwort: Programmatic Advertising) werden, umso höher sind die Anforderungen an die Mitarbeiter, beschreibt IAB-Präsident Eckert die Personallage: „Administrative Aufgaben wie Kampagnenplanung sind automatisierbar und werden automatisiert. Umso mehr sind die Mitarbeiter gefordert, dem technologischen Wandel durch Bildung zu begegnen. Die einzig gültige technologische Ausbildung gibt es nicht.“ Autor: Erika Hofbauer
Xenia Daum, SDO; C. Atlanger-Winter, Mindshare; Andreas Martin, media.at
 
Digital Natives sind wissbegierig und engagiert, wenn ihr Tun einem höheren Zweck dient.
 
André Eckert, IAB Austria; E. Plattensteiner, FMP