Mit Tatendrang ins neue Jahr
Österreichs Medienszene im Allianzenfieber: Neue Gemeinschaftsinitiativen sollen das wirtschaftliche Überleben heimischer Medienhäuser für die nächsten Jahren sichern und sagen damit den Silicon-Valley-Giganten den Kampf an.
Wer bei den Österreichischen Medientagen aufmerksam die Gespräche und Diskussionen verfolgt hat, konnte zwei Tugenden der Aufbruchstimmung registrieren: Tatkraft und Optimismus.
Seit die Digitalisierung vor mehr als zwei Jahrzehnten auch in Österreich an medialen Geschäftmodellen zu rütteln begann, gab es nach jahrelangen territorialen Grabenkämpfen selten ein einigeres Bild der österreichischen Medienmanager zu sehen.
Marketplace Austria. Die neue Qualität des Miteinander stand dann auch bei den Podiumsdiskussionen im Mittelpunkt. Das große Thema: Gemeinschaftsprojekte für die Zukunftssicherung des Medienstandortes Österreich. Und wenn auch noch nicht alle Verlagshäuser Feuer und Flamme sind, das nächste große gemeinsame Ziel ist bereits ausgerufen. Das Projekt firmiert unter dem Arbeitstitel „Marketplace Austria“ und soll als Genossenschaft organisiert werden, erklärte Matthias Stöcher, Bereichsleiter Geschäftsfeldentwicklung digitale Medienprodukte beim Standard, bei den diesjährigen Medientagen. Stöcher, auch im Digitalen Bord des VÖZ aktiv, arbeitet seit Monaten im Hintergrund als Koordinator an der Umsetzung der gemeinsamen Plattform. Der „Marketplace Austria“ soll Medien offenstehen, die in Österreich Content produzieren. Garantiert werde eine Qualität der Medien und Werbeplätze sowie Erlöse, die direkt bei den Medien entstehen. Mit der gemeinsamen Plattform wäre eine zentrale Stelle etabliert, wo internationale Werbetreibende den österreichischen Medienmarkt digital buchen könnten – eine praktische Alternative zur Werbedominanz der globalen Player. Immerhin hat sich das Ökosystem inzwischen dahin entwickelt, dass bereits vierzig Prozent der Werbeflächen im deutschsprachigen Raum in Echtzeit über Programmatic Advertising gebucht werden, in Großbritannien und den USA liegt die Rate bei achtzig Prozent. Dieser Entwicklung gilt es über kurz oder lang mit attraktiven Angeboten auch dem österreichischen Ökosystem zu entsprechen. Jochen Schneeberger, Head of Digital Advertising bei willhaben, begrüsste im Rahmen der Konferenz die Initiative. „Der Gedanke eines österreichischen Marktplatzes ist gut und wichtig. Das würde auch heißen, dass wir in Medien investieren müssen, damit diese bestehen bleiben. Alles, was dazu beiträgt und nicht nach Kartell riecht, ist zu befürworten.“
Verhandlungsschluss. Kurzum: Eine auch politisch heftig herbeigewünschte Medien-Allianz nimmt Gestalt an. Die Vorarbeiten seien weit gediehen, erklärte Stöcher. Mit 13 potenziellen Teilnehmern habe man geredet, zwei Drittel der möglichen Partner hätten bereits unterschrieben. Das Red Bull Media House hat das noch nicht getan. Dessen Global Head of Media Sales, Gerhard Riedler, zeigte sich auf den Medientagen skeptisch, was die Erfolgsaussichten betraf. „Kommerziell wird nicht viel zu gewinnen sein“, meinte er. Interessant werde das Projekt allenfalls, wenn auch eine Login-Allianz inkludiert ist, vor deren Umsetzung wird das Red Bull Media House nicht unterschreiben. Bei krone.at sieht man ebenfalls noch offene Punkte, besonders im Bezug auf die Zusammenarbeit mit dem ORF. Man stehe aber „zu 100 Prozent“ hinter einer gemeinsamen Lösung, sagte Michael Eder, Geschäftsführer von krone.at. Michael Stix, Geschäftsführer Revenues der ProSiebenSat.1-PULS-4-Gruppe, sah einen „ersten kleinen, aber wichtigen Schritt“ und wünschte sich im Nachsatz schon einen weiteren Schritt, nämlich eine europäische Login-Allianz. Er verwies dabei auf die in Deutschland initiierte European Net ID Foundation, die auch Partner aus dem ECommerce einbindet. Net ID wurde im Sommer von den Medienkonzernen ProSiebenSat.1, der Mediengruppe RTL und Untited Internet gegründet. Von Seiten des Privatsenderverbands VÖP bezeichnete Corinna Drumm ein verlässliches und seriöses Werbeumfeld als „USP“ der geplanten Plattform. Der ORF „muss mitmachen, der ORF will“, hielt Oliver Böhm von der ORF-Enterprise fest. Laut Böhms Rechnung kämen die Partnermedien auf 80 Prozent Nettoreichweite oder fünf Millionen österreichische User. Mittelfristig könne mit Einnahmen von zusätzlich rund 20 Millionen Euro jährlich gerechnet werden, so der ORF-Geschäftsführer Werbevermarktung. Allerdings braucht es dafür noch eine „Mini-Gesetzesänderung“, wie ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz im anschließenden Panel zum Thema Medienpolitik erwähnte. Derzeit ist dem ORF nämlich das Zuschneiden von Werbung auf verschiedene Zielgruppen, sprich Targeting, verboten. Wrabetz aber wünsche sich natürlich ein Vorangehen Österreichs, um eine „Transformation unserer klassischen Medien in ein Plattform-Ökosystem voranzutreiben“.
Schulterschluss. Neben dem anvisierten Schulterschluss in der Werbevermarktung soll die Plattform in Zukunft auch andere gemeinsame Bedürfnisse abdecken, wie etwa ein Consent Tool, um allen Medien die gesetzeskonforme Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung zu ermöglichen. Außerdem laufen parallel die Verhandlungen für eine Login-Allianz, die Portalen den Umgang mit User-Daten und damit einhergehend die Möglichkeit neuer Geschäftsmodelle eröffnen soll.
Ideen-Hub. Abseits des konkreten Projektes „Marketplace Austria“ ließ sich P7S1P4-Geschäftsführer Markus Breitenecker in Diskussionen zu einem wahren Feuerwerk an Kooperationsideen hinreißen: Da gab es Ideen zur Umgestaltung medialer Messsysteme, um den verengten Blick auf den österreichischen Markt auszuweiten, die Idee einer gemeinsamen Suchmaschine nach dem Vorbild der tschechischen Kollegen sowie den Vorschlag einer gemeinsamen Social-Media-Strategie. In eben diese Kerbe schlug auch die Diskussion über ein europäisches YouTube, das aktuell als Gegenentwurf zu den US-Playern lebhaft diskutiert wird. Den Vorstoß des ARD-Vorsitzenden Ulrich Wilhelm goutierte ORF-General Alexander Wrabetz als guten Ansatz, sah aber die größte Problemstellung in der dann zu bewältigenden Anforderung an maßgeschneiderten Content und dessen Finanzierung. Auch NTV-Geschäftsführer Hans Demmel bewertete die Diskussion positiv, gab aber zu bedenken: „Wir müssen bei allen Diskussionen auch unsere Geschäftsmodelle schützen. Wir haben US-Giganten auf der einen Seite, wir haben öffentlich-rechtliche Giganten auf der anderen und in der Mitte privates Fernsehen mit einem Geschäft, wo der lineare Anteil weniger wird und wir nicht wissen, wie sich die Marge im nichtlinearen Geschäft entwickeln wird.“
Conclusio nach zwei Tagen Ideenaustausch unter den österreichischen Entscheidungsträgern der Medienwirtschaft: Es ist derzeit nicht alles rosig, aber letztlich soll der Kampfgeist und der Ideenreichtum darüber entscheiden, wie die mediale Zukunft von morgen aussieht.