„Kopf in den Sand“ ist keine Option

© Anja-AdobeStockNeue Technologien revolutionieren das Marketing, versuchen Studien immer wieder zu belegen. Wie genau dies in der Praxis geschieht, hat der MedienManager bei den Experten nachgefragt.

MedienManager: Diverse Forschungen belegen immer wieder die Wirkung der einzelnen Kommunikationskanäle. Welche Kanäle spielen besonders gut zusammen?

Helmut Kosa, CEO und Brand Commerce-Experte &US: Die Kombination der Kanäle hängt vor allem von den relevanten Zielgruppen ab. Es ist aber generell erwiesen, dass analoges Fernsehen sehr gut mit der digitalen Welt funktioniert. Das sind in erster Linie Online- bzw. Social-Media-Kanäle, weil man hier weitere Informationen und Interaktion zur Verfügung stellen kann. Durch ein gezieltes Targeting kann Content zielgruppengerecht zur Verfügung gestellt werden, um die User individualisiert anzusprechen.

Thomas Mayer, Werbeleiter Magenta Telekom: Die Kombination aus simultaner Multiscreen-Nutzung und dem anhaltenden Bewegtbildtrend stärkt die Kanäle TV, und zwar in allen Ausprägungen wie Streaming, Mediatheken, On-Demand und Online nachhaltig wie nachweislich. Radio und OOH sind weiterhin reichweitenstarke Awareness- und Unterstützungsmedien und verstärken als solche die TVOnline-Kombination. Print hat im gesamten Medienmix so etwas wie eine Sonderstellung, da es im Verbund, aber auch alleine funktioniert und mehr Informationen transportieren kann als alle anderen Gattungen.

Barbara Rauchwarter, Kommunikationsleiterin APA und Präsidentin der Österreichischen Marketinggesellschaft (ÖMG): Generell ist Marketing immer quasi konzertant, sprich, alle Channels müssen aufeinander abgestimmt sein. Welche besonders gut harmonieren, liegt auch am Produkt, an den Zielgruppen und an den Zielen. Digitales Nacharbeiten von Events klappt meist gut. Aus einem Mailing auf eine Landingpage mit mehr Informationen bzw. Optionen zu linken, macht Sinn, via Social Media Traffic auf die eigenen Sites zu bringen, ebenfalls. Es gibt hier keine absolute Wahrheit. Ausprobieren, was die eigene Zielgruppe mag und wo ich sie mit welchem Thema am besten abhole, ist aus meiner Sicht die beste Option.

Lisa Reisenberger, Head of Marketing Palmers Textil AG und Vorstand im Marketing Club Österreich (MCÖ): Aus meiner Sicht liegt der Erfolg nicht in der Wirkung der einzelnen Kommunikationskanäle, sondern im Zusammenspiel aller verfügbaren Medien. Die Verzahnung zwischen Off- und Onlinemaßnahmen gewinnt stetig an Bedeutung.

Günter Thumser, Geschäftsführer Österreichischer Verband der Markenartikelindustrie: Seit der breitflächigen Durchsetzung/persönlichen Nutzung der Social Media ist das Einbeziehen dieser Kanäle unverzichtbar – nicht nur, um gerade die jüngeren Zielgruppen zu erreichen, sondern um ganz spezifisch auf Ziel-Cluster einzuwirken. Eine Kombination mit den inzwischen ebenso vielfältigen Outdoor-Optionen erscheint hier gerade im urbanen Bereich sehr vielversprechend, erhöht sie doch die Kontaktmöglichkeit und den Aufforderungscharakter über eine inszenierte „Öffentlichkeit“. Eine weitere Vertiefung könnte hierfür in zielgruppenspezifischen Print-Titeln erfolgen.

MedienManager: Revolution im Marketing: Technologien wie AR und VR transformieren Marketing und Vertrieb. Welche Herausforderungen lauern hier für Unternehmen?

Kosa: Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) sind spannende Technologien, die für bestimmte Anforderungen gut eingesetzt werden können, weil Kunden z. B. Produkte detailliert testen können, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen. Die größte Herausforderung ist nach wie vor, Marken mit ihrem USP konsistent auf allen Kanälen zu positionieren. Auch beim Brand Commerce über AR oder VR müssen der Kundenkontakt mit einer Marke und die Möglichkeit des Kaufabschlusses möglichst eng beieinander liegen.

Mayer: Derartige und andere Technologien werden sämtliche Industrien auf deren Weg der Digitalisierung begleiten. Das Verständnis, die Einführung von der Pilotierung zur Implementierung von Technologie über Know-how bis hin zu Prozessen und letztlich der richtige Umgang, stellen dabei die Herausforderungen dar. Den oft steinigen Weg aber nicht zu gehen, ist keine Option. AR wie VR bieten neue Interaktionsmöglichkeiten, neue Erlebniswelten für Konsumenten und viel Spielraum für Kreativität. Diese wachsen exponentiell mit jedem Infrastruktursprung, zum Beispiel von 4G auf 5G. Höhere Bandbreiten ermöglichen höhere Digitalisierungssprünge.

Rauchwarter: Diese Themen sind teilweise schon da und werden verstärkt kommen. Digital Sales begleitet uns schon lange, also der Prozess zum Kunden, die digitale Customer Journey. Natürlich gehören in dieses Gebiet auch die internen Prozesse. Vor allem im Handel, aber auch in der Produktion ist da bereits sehr viel am Laufen. Das Thema Marketing Automation ist sicher noch nicht ausgereizt, viele Unternehmen stehen da noch am Anfang. Aber das ist die Zukunft, und ich glaube, wir tun gut daran, uns darauf einzustellen und auszuloten, wie wir diese Technologien bestmöglich für unser Business nutzen können.

Reisenberger: Der stationäre Handel spielt in Österreich weiterhin eine übergeordnete Rolle und steht für uns an erster Stelle. Nichtsdestotrotz erwarten Kunden digitale Serviceangebote in allen Kanälen, wie Click & Collect, personalisierte Werbeangebote und einen perfekten Kundenservice. Ein nahtloses Marken- und Einkaufserlebnis zwischen stationären Geschäften und Webshop muss gewährleistet sein. Konsumenteninteraktion ist von oberster Wichtigkeit.

Thumser: Wie bei allen Transformationsprozessen erscheint es hier wichtig, die goldene Mitte nicht aus den Augen zu verlieren: sowohl zeitlich, also zum richtigen Zeitpunkt die neuen Möglichkeiten aufzuschalten/zu integrieren, als auch inhaltlich – bei aller Versuchung durch kostengünstigere Virtualisierung – nicht das direkte sensorische (haptische/geschmackliche/ olfaktorische) Empfinden zu kurz kommen zu lassen.

MedienManager: Für Marketing und Vertrieb wird in den nächsten Jahren diese Entwicklung besonders von Bedeutung sein, weil …

Kosa: Wir sehen einen Trend in Richtung Brand Commerce, also die Verknüpfung von Marke mit neuen analogen und digitalen Vertriebskanälen und Technologien. Er basiert auf einer datenbasierten, userspezifischen Markeninteraktion, um Kaufabschlüsse und somit auch Businesswachstum von Unternehmen zu fördern.

Mayer: … Produkt, Service, Technologie, Marke, User-Experience weiter stärker miteinander verschmelzen. Marketing heute bedeutet somit nicht mehr, einen schönen TV-Spot für ein Produkt zu konzipieren und produzieren, sondern sämtliche Touchpoints vom Shop, Web, der Verpackung, dem Produkt- und Serviceerlebnis, allen Werbe- und Kommunikationskanälen und vielem mehr optimal zu synchronisieren und für den Kunden zu optimieren.

Rauchwarter: Von besonderer Bedeutung werden die Themen Marketing Automation, Personalisierung und AI in sämtlichen Prozessen sein. Gute Kreation, außergewöhnliche Ideen und persönliche Kontakte werden deshalb nicht aus der Mode kommen.

Reisenberger: Für den stationären Handel sehe ich das Einkaufserlebnis als Kernelement für den aktuellen wie auch zukünftigen Erfolg. Wir fokussieren uns gemäß unserem Versprechen auf unsere USPs: Beste Passform, beste Qualität und beste Beratung. Kundenorientierung ist Kundenbindung: Nur wenn der Kunde erhält, was ihm in der Werbung versprochen wurde, und das Einkaufserlebnis stimmt, werden Kundenfrequenzen und Umsätze nicht stagnieren.

Thumser: Auf absehbare Zeit wird das Thema Klimawandel und die damit verbundene Ökologie-Fokussierung eine dominierende Stellung einnehmen. Marketing-Maßnahmen werden sich stark um das Thema Ressourcenschonung bewegen, Innovationen daran gemessen werden. Der viel direktere und individuellere Zugang auch zu den Wünschen und Bedürfnissen von Konsumenten über Big Data wiederum wird alle herausfordern, jene jedoch umso mehr, die hierfür nicht die geeigneten Tools und Expertise im Umgang unternehmensadäquat entwickeln und auch real zu höherer Wertschöpfung umsetzen können.