biber-Chefredakteurin: „Viel Luft nach oben“ bei medialer Diversität

Das Wiener Gratismagazin „biber“ spürt seit 15 Jahren dem Lebensgefühl „neuer Österreicher“ nach. Recherchiert werden die Geschichten von Journalistinnen und Journalisten, die selbst aus der migrantischen Community kommen. Was Diversität am heimischen Medienmarkt angeht, sieht „biber“-Chefredakteurin Delna Antia-Tatic aber noch „viel Luft nach oben“. Abhilfe schaffen will die interne Talenteschmiede „biber“-Akademie, die nun erstmals auch Deutschland „beliefert“.

Das bunte Magazin, das freilich nie als Fachperiodikum über Nagetiere angelegt war, sondern dessen Name auf Türkisch „Pfefferoni“ und auf Serbokroatisch „Pfeffer“ bedeutet – deshalb auch der vollständige Titel „biber – mit scharf“ -, richtet sich vorwiegend an Zugewanderte der zweiten und dritten Generation, die also schon hier geboren und aufgewachsen sind. „Die Checker zwischen den Welten sind unsere Zielgruppe“, sagt Antia-Tatic im APA-Gespräch. Man hole aber auch das Gefühl vieler Junger mit nicht-österreichischen Wurzeln ab, „zwei Heimaten zu haben, vielleicht nie ganz dazuzugehören, eine andere Muttersprache zu sprechen“. Aber auch autochthone Wienerinnen und Wiener, „die vielleicht spannend finden, wie es in einem Jugo-Haushalt läuft“, fänden sich unter der Leserschaft. Alle Artikel erscheinen auf Deutsch.

Zu haben gibt es das kritisch-frech gemachte Heft, das sich als Gattungspionier im deutschsprachigen Raum versteht, an niederschwelligen Orten – etwa in Supermärkten, Fast-Food-Lokalen, Bäckereien oder über Entnahmetaschen auf der Straße. Street Credibility ist auch ein inhaltliches Asset des Teams. „Wir schreiben von innen heraus – als Insider“, erklärt Antia-Tatic: „Wir haben Journalistinnen und Journalisten, die mehrsprachig sind, die kulturelle Codes kennen, die vielleicht selbst die Erfahrung gemacht haben, wie es ist, wenn man Rassismus und Diskriminierung am eigenen Leib erfahren hat. Viele waren mit der Mama putzen oder haben am Amt für die Eltern gedolmetscht.“ Dadurch entstünden Storys, „die sonst viel zu selten vorkommen“. Dazu kommen noch zahlreiche Kolumnen oder das inzwischen kultige „Interview in Zahlen“.

Eine gute Handvoll fixer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Herkunft – die Chefredakteurin einer Protestantin aus dem Ruhrgebiet und eines Parsi aus Bombay – hat das Magazin, das im Museumsquartier residiert. Dazu kommt ein inzwischen recht großer Pool an freien Schreiberinnen und Schreibern. Kulturelle Konflikte kämen in einem derart pluralistischen Team schon zuweilen vor, sagt Antia-Tatic, seit 2019 Chefredakteurin. Das sei aber auch klar, denn Migranten seien ja – anders als oft von außen beschrieben – keine homogene Gruppe: „Auch hier gibt es Redakteure, die absolute Kopftuchgegner sind. Und dann gibt es jene, die das moderater sehen. Aber es ist nicht so, dass das unsere Arbeit behindert.“ Im Gegenteil: Unterschiedliche Ansichten dürften sich auch in den Texten niederschlagen.

Blättert man durch die aktuelle Ausgabe, erfährt man etwa, mit welchen Problemen und Ängsten in Wien geborene Teenager ohne hiesige Staatsbürgerschaft zu kämpfen haben, wie europäische Schönheitsideale iranische oder kurdische Frauen hierzulande unter Druck setzen oder warum es so schwer ist, sich als selbstbewusste junge Frau den strengen Regeln der eigenen koptischen Familie zu widersetzen. Empowerment, also Selbstermächtigung, spielt sowieso regelmäßig eine Rolle in der Gratis-Gazette.

Erfahren die „biber“-Leute deshalb Anfeindungen aus konservativen migrantischen Ecken? Das habe es „vor meiner Zeit“ als Chefredakteurin schon manchmal gegeben, als beispielsweise das Thema Sex im Islam (2010) gebracht wurde, erzählt Antia-Tatic, die 2012 zum Magazin gekommen ist. Da sei es rund gegangen. Was aber womöglich überrascht: In letzter Zeit gebe es mehr „Bashing“ von Links. „Auf ‚biber‘ wird sehr viel aus dem linken Sektor projiziert. Da wird uns eine gewisse Haltung zugeschrieben. Wenn dann mal ein Text nicht so ganz ins linke Idealbild passt, gibt es sehr viele Beschwerden“, sagt sie.

Um an gute Geschichten zu kommen, braucht es jedenfalls Zugang zu den Communitys. Deshalb sei es in Sachen medialer Vielfalt auch so wichtig, mehr Menschen mit migrantischem Background in die Redaktionen zu bekommen, meint Simon Kravagna, Gründer, langjähriger Chefredakteur und nun Herausgeber von „biber“. „Wenn ich im Bereich Islamismus recherchiere, tue ich mir halt leichter, wenn ich auch Arabisch oder Türkisch spreche. Wenn ich nicht einmal verstehe, was in der Moschee gesprochen wird, dann wird es halt schwierig in der Berichterstattung“, nennt der nunmehrige Geschäftsführer des forum journalismus und medien (fjum) ein Beispiel.

Seit den „biber“-Anfängen im Herbst 2006 habe sich im Journalismus immerhin einiges geändert, „aber eine bedeutende Größenordnung gibt es immer noch nicht“. Dabei würde er Medienunternehmen „schon allein aus wirtschaftlichem Eigeninteresse“ raten, die multiethnische Gesellschaft personell und inhaltlich stärker abzubilden. Vor allem in Wien würden junge Menschen in einer für sie selbstverständlich diversen Welt aufwachsen. „Wenn Medien den Unter-30-Jährigen oder den noch Jüngeren ein Angebot machen wollen, glaube ich nicht, dass man ohne diverse Redaktion überhaupt noch mitspielen kann“, glaubt Kravagna. Die viel zitierte „Parallelwelt“ finde man in dem Fall bei den Medien und nicht in der Bevölkerung.

„Unser Auftrag ist, die Medienlandschaft so divers zu machen wie die Bevölkerung tatsächlich ist“, formuliert es Blattmacherin Antia-Tatic. Zwar schafften es immer mehr Berichterstatterinnen und Berichterstatter mit Migrationshintergrund in die Redaktionen, in den Geschichten und Zugängen finde das aber nicht immer Niederschlag: „Ich habe den Eindruck, viele müssen sich den dort herrschenden Vorgaben unterordnen und können nicht ihre eigenen Dinge umsetzen.“

„biber“ selbst will das nicht nur als Magazin, das seit 2008 regelmäßig und derzeit sieben Mal pro Jahr in einer Druckauflage von je rund 70.000 Stück erscheint, ändern, sondern auch mit der 2011 eigens gegründeten und u.a. vom Bund geförderten „biber“-Akademie. In einem zweimonatigem Crashkurs lernen je zwei bis vier Stipendiaten das journalistische Handwerk kennen, gestalten das Heft mit und werden dann an andere heimische Medien vermittelt. Heuer kooperiert man erstmals mit einem deutschen Qualitätsmedium: Konkret werden einige Absolventinnen und Absolventen ihr Folgepraktikum bei „jetzt“, dem für junges Publikum zugeschnittenen Online-Ableger der „Süddeutschen Zeitung“, antreten können.

Hat Corona „biber“ finanzielle Einbrüche beschert – wie vielen anderen Medien auch? Man spüre schon, dass Anzeigenkunden zögerlicher seien, räumt Antia-Tatic ein. Aber inseriert werde trotzdem, da das „biber“-Marketing gemeinsam mit Werbepartnern immer wieder gemeinsame Konzepte entwickle, um die migrantische Zielgruppe gezielt zu erreichen: „Gerade im Lehrlings- oder Ausbildungsbereich z.B. durch Videos mit gewissem Schmäh und kulturellen Codes.“ Die Redaktionsleiterin betont aber auch, dass man von zielgruppenspezifischen Corona-Kampagnen der Bundesregierung bzw. der Ministerien auch profitiert habe: „Wir sind ein Infokanal, der junge Migranten so stark erreicht wie wahrscheinlich sonst nur sehr wenige.“

Unzufrieden ist Antia-Tatic mit der Medienförderung des Bundes. Es sei eine „Schande“, dass Vielfalt im Rahmen der regulären Presseförderung nicht unterstützt werde. „Es gibt seit Jahren einfach nicht den politischen Willen, diverse Medien wie ‚biber‘ – das ein Pionier im deutschsprachigen Raum ist und dafür auch Ansehen erhält – zu fördern.“ Da gebe es immer „fragwürdige Kriterien“ wie die Häufigkeit des Erscheinens. Bei der neuen Digitalförderung, die der Bund gerade in Begutachtung geschickt hat, sei noch offen, „ob eh wieder nur die gefördert werden, die immer schon gefördert wurden. Und ob die, die nie was bekommen, wieder nichts bekommen. Wir werden sehen.“

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