Journalist und Osteuropa-Experte Paul Lendvai wird 90

Während er mit seiner Expertise seit Jahrzehnten die politischen Geschehnisse Osteuropas in Worte fasst, kann sein eigener Werdegang als Spiegelbild der Umbrüche im 20. Jahrhundert herhalten: Am 24. August feiert der Journalist Paul Lendvai seinen 90. Geburtstag. Rechtzeitig zu diesem Jubiläum legte der gebürtige Ungar sein neues Buch vor.

In „Die verspielte Welt“ blickt er auf Begegnungen mit den Großen und Mächtigen der Welt zurück und erinnert sich an historische Wenden und politische Zäsuren. George Soros und Viktor Orban widmet er jeweils eigene Kapitel, auch die „Sehnsucht nach dem starken Mann“ analysiert Lendvai.

Geboren wurde Lendvai am 24. August 1929 in Budapest. Nach der Matura begann er neben seinem Jus-Studium im Alter von 18 Jahren auch journalistisch zu arbeiten. Von den Nazis verfolgt, rettete ihn nur ein Zufall vor der Deportation in ein Todeslager im Oktober 1944. In der Zeit danach wurde Lendvai im kommunistischen Ungarn zum glühenden Marxisten und konnte seine journalistische Karriere fortsetzen, bevor er im Zuge seines Militärdienstes denunziert wurde und für ein Jahr in Haft kam.

Erst 1953 wurde Lendvai amnestiert, musste sich allerdings als freier Journalist und Übersetzer sein Einkommen sichern, da er mit einem Berufsverbot belegt wurde. Schließlich setzte er sich nach Österreich ab, da er die politische Lage in seinem Heimatland nicht mehr ertragen habe, wie er in seinen Memoiren schreibt. Von 1957 bis 1982 arbeitete er als Osteuropakorrespondent für „Die Presse“, 1959 erhielt Lendvai die österreichische Staatsbürgerschaft.

Hierzulande sollte er sich publizistisch endgültig einen Namen machen, wobei er von 1960 bis 1982 ebenfalls für die Londoner „Financial Times“ tätig war und ab 1973 als Chefredakteur und Mitherausgeber der Vierteljahreszeitschrift „Europäische Rundschau“ fungierte. Ein Titel, in dem er eine „publizistische Visitenkarte des neutralen Österreichs“ sowie ein „publizistisches Instrument und Sprachrohr der Europäisierung und Humanisierung“ sah.

Größere Bekanntheit erlangte er schließlich mit seinen außenpolitischen Kommentaren im ORF, wobei er auch maßgeblich am Aufbau der Osteuroparedaktion des ORF beteiligt war. Ab 1982 war er fünf Jahre lang Chefredakteur der Redaktion für Ost- und Südosteuropa des ORF, von 1987 bis 1998 dann Intendant von Radio Österreich International. Seit 2003 verfasst er eine wöchentliche Kolumne für den „Standard“, im ORF diskutiert er mit Journalisten und Experten im „Europastudio“.

Im Laufe seiner Karriere veröffentlichte Lendvai zudem etliche Bücher, etwa „Der Rote Balkan – Zwischen Nationalismus und Kommunismus“ (1969), „Antisemitismus ohne Juden – Entwicklungen und Tendenzen in Osteuropa“ (1972), „Das eigenwillige Ungarn – Innenansichten eines Grenzgängers“ (1987), „Mein Österreich. 50 Jahre hinter den Kulissen der Macht“ (2007) und „Orbans Ungarn“ (2016). 2013 legte er mit „Leben eines Grenzgängers“ seine Memoiren vor. 1980 wurde ihm der Berufstitel Professor verliehen. Neben dem Großen und dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik wurde er unter anderem auch mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet.