RSF-Präsident Hausjell für Neubestellung der ORF-Führung

Die Glaubwürdigkeit des Journalismus hat in Österreich durch Chats, Sideletter und die Inseratenaffäre gelitten. Das Verhältnis von Medien und Politik müsse nun saniert werden, meint Fritz Hausjell, Präsident der Österreichsektion von Reporter ohne Grenzen (RSF) im APA-Interview. Er tritt etwa für die Formulierung eines Code of Conducts, eine Selbstbeschränkung der Regierungs-PR und eine Neuausschreibung von ORF-Führungspositionen ein.

Die heimische Medienbranche hatte heuer einen Absturz von Platz 17 auf Platz 31 im Pressefreiheitsindex von RSF zu verdauen. Mitschuld waren Angriffe auf Journalisten bei Coronademos, „Schikanen seitens der Polizei, bezahlte Umfragen in Boulevardmedien und eine Politik, die durch Korruption und Bestechung geprägt ist“, wie es bei der Präsentation im Mai hieß. Hausjell greift rückblickend etwa eine „weitere Zuspitzung des Versuchs der inhaltlichen Steuerung von Medien über Regierungsinserate, die es in diesem Ausmaß in vergleichbaren Demokratien nicht gibt“ heraus. Die Mittel für Regierungs-PR seien gewachsen, während im Journalismus Arbeitsplätze verloren gingen. Chancengleichheit sei nicht mehr gegeben, konstatiert Hausjell.

Um gegenzusteuern, solle sich die Politik bei den Aufwendungen für die Eigeninszenierung selbst beschränken – etwa auf 25 Prozent der gegenwärtigen Ausgaben, meint der RSF-Präsident. Zu begrüßen sei, dass ein Gesetzesentwurf verschärfte Transparenz bei der Inseratenvergabe der öffentlichen Hand vorsieht. „Eine tatsächliche Objektivierung findet aber nicht statt“, bemängelt der 63-Jährige. Denn es habe keine Konsequenzen, wenn ein Ministerium weiterhin willkürlich inseriert. „Das ist ein ungeheurer Schwachpunkt.“ Auch den Umstand, dass keine Deckelung der Inseratenausgaben vorgesehen ist, kritisiert Hausjell. Insgesamt ortet der Kommunikationswissenschafter noch viel medienpolitischen Handlungsspielraum. „Es gibt nach wie vor kein Informationsfreiheitsgesetz. Damit sind wir das einzige Land in Europa.“ Es handle sich hier um eine Grundsatzfrage: „Wie viel ist uns Demokratie, wie viel ist uns Transparenz wert?“

Unverständlich ist für den RSF-Präsidenten, warum Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) weiterhin keine Reform der ORF-Gremien anstrebt. Ein publik gewordener Sideletter, der Direktorenposten und den Vorsitz des Stiftungsrats unter ÖVP und Grünen aufteilt, sowie Chats über Einflussnahme auf den ORF sind seit Regierungsbildung an die Oberfläche gelangt. „Es gibt völlig evidente Probleme. Wenn hier die Politik nicht reagiert, dann handelt es sich um eine Fehlbesetzung“, sagt Hausjell. Und: „Medienpolitik ist nicht Klientelpolitik, sondern sollte primär Demokratiepolitik sein. Wenn das Vertrauen in die Medien erodiert und die Ministerin reagiert nicht, dann ist das eine schwere politische Verfehlung.“

Entgegen einer Gremienreform strebt Raab nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) die Neuregelung der ORF-Finanzierung an. Wie diese künftig aussieht, ist offen. Die Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger ließ aber damit aufhorchen, dass sie sich auch eine indexierte und mit Zweidrittelmehrheit abgesicherte Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget vorstellen könne. Hausjell sieht das skeptisch. „Die viel bessere Lösung wäre eine mit Zweidrittelmehrheit abgesicherte, indexierte Haushaltsabgabe. So diskutieren wir nicht alle paar Jahre, ob es in Ordnung ist, dass der ORF einen Teil der Inflation abgegolten bekommt.“

Der Wissenschafter tritt zudem dafür ein, die gegenwärtigen ORF-Führungskräfte neu zu bestellen. „Sie haben jetzt alle ein Parteipickerl, manche verdienen es nicht.“ Um sie davon zu befreien, sollte eine von einem internationalen Board begleitete Neuausschreibung und genaue Bewertung der Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten vorgenommen werden – inklusive öffentlichem Hearing.

Das durch diverse Chats zutage getretene problematische Naheverhältnis mancher Politiker zu manchen Medien, das zu Rücktritten von renommierten Chefredakteuren geführt hat, überrascht Hausjell nicht: „Ich halte es für sehr notwendig, dass man nun klare Konsequenzen zieht. Denn es ist für beide Seiten ein unglaubliches Problem. Vertrauen ist eine Währung und die wird verspielt, wenn solche Dinge zum Standard einer Branche werden.“ Wahrscheinlich sei es nun notwendig, einen Code of Conduct auf beiden Seiten auszuformulieren. Journalismus selbst sollte sich deutlicher erklären und das wiederholt. Aber auch das Bildungssystem nimmt Hausjell in die Pflicht. Gegenwärtig werde wenig Medienkompetenz vermittelt – ein „schweres Versäumnis“.

„Klare Statements“ erwartet sich der RSF-Präsident vonseiten der Politik nach Attacken auf Journalisten, wie sie sich etwa bei Coronademonstrationen ereigneten. Auch müssten einige neue Maßnahmen zum Schutz von Medienschaffenden erarbeitet werden, um diese möglichst zu unterbinden. Mordanschläge wie sie in Europa in den vergangenen Jahren gegen investigative Journalisten verübt wurden, seien dagegen auch hierzulande „wahrscheinlich nicht komplett verhinderbar“. Bedrohungsszenarien müssten jedoch ernst genommen und Schutzmaßnahmen ergriffen werden.