„Werbungstreibende sind digitalbesoffen“

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Jürgen Zietlow sieht Werbung in Printmagazinen im Vergleich zu allen anderen Channels vor allem für KMU als höchst effizient an.

Der Fachjournalist und Berater für Content-Marketing-Strategien Jürgen Zietlow pocht im MedienManager-Interview auf Print als optimales Outbound-Werbemittel und spricht über den digitalen Werbemarkt.

MedienManager: Herr Zietlow, die zunehmende Vernetzung von digitalen Medien und anderen Bereichen der Kommunikation und des Marketings bewirkt Umbrüche in der Branche. Diese Veränderungen sind längerfristige und kontinuierliche Prozesse, die die Medien- und Werbebranche noch über Jahre hinweg beschäftigen werden. Lassen sich überhaupt bereits Trends oder Erfolgskonzepte festmachen?

Jürgen Zietlow: Wir sind mittendrin, quasi inmitten sich konkret laufend erfüllender Trends der Vernetzung. Denken wir an Mobilität, die uns alle täglich betrifft.
Da wäre das mächtige Google-System mit seinem Android-Betriebssystem und zahllosen Apps, mit denen wir Kontakte, Termine, Aufgaben und Daten tauschen oder synchronisieren, E-Mails versenden und über Social-Media-Channels wie Xing, LinkedIn, aber auch Twitter, Facebook, Instagram, Pinterest oder WhatsApp täglich kommunizieren. Denken wir an die zunehmende „Cloudability“ webbasierter Datenspeicher oder Browser-Softwares. Oder an zahllose Microservices, kleine Programm-Snippets, die für Kleingeld gekauft und über sogenannte Collaboration-Tool-Dienstleister wie Slackbot oder Zapier zu Workflows zusammengebaut werden können, all die ganzen Wunderlists der digitalen Welt. In diesem Zusammenhang und mit Blick auf moderne Kommunikation erleben wir derzeit andererseits einen spannenden Gegentrend-Trend. Studien darüber, wie stark Print gerade im Marketing mehr denn je ist, gibt es reichlich. Hybride Print-to-Web-Formate vernetzen die Offline- mit der Online-welt optimal, denken wir nur an Augmented Reality. Der Kern-Trend ist ganz klar die geradezu brutale, fragmentale Diversifizierung der kommunikativen Möglichkeiten – die Diversifizierung der technischen Möglichkeiten im Allgemeinen: Schauen Sie, wie einfach es heute ist, eine Website zu bauen, um Inhalte zu transportieren.
Da gibt es Page Builder oder mittlerweile über 50.000 Plug-ins für WordPress, ein CMS-System, das für kleinere bis mittlere Projekte kaum noch Wünsche offen lässt. Diese Leichtigkeit und Kleinteiligkeit ist vor allem auch ein kommunikativer Trend, denn auch beispielsweise WordPress oder Adobes Behance-Netzwerk sind ungemein mächtige Channels. Solche oder ähnliche Communitys für andere Branchen spielen eine gewichtige Rolle in der Kommunikation, ersetzen aber nicht Print, was ich gerne noch näher erkläre.

 MedienManager: Alles ist digital, alles ist mobil. Die Anzahl an digitalen und vernetzten Devices nimmt stetig zu, die Menge an Content auch. Die Mediennutzung ist hoch individualisiert und viel mobiler als früher. Aufmerksamkeit wird ein wertvolleres Gut, Relevanz wird zur Währung. Wie müssen Kommunikation und Werbung ausgerichtet sein, um bei der Zielgruppe zu wirken?

Zietlow: Zwischen Werbung und Kommunikation besteht dahingehend ein Riesenunterschied. Ich beginne mit Kommunikation im digitalen Umfeld: Mit Blick auf KMU ist wohl der größte Irrtum der Digitalisierung, dass man es den Großen in den jeweiligen Branchen 1:1 nachmachen kann. Ich bin sehr skeptisch, ob sich diverse Marketing-Automationen, Data-driven Marketing oder gar KI für kleinere Unternehmen rentieren,  einmal die Peripheriekosten für IT, ständige Wartung, SEO etc. hinzuaddiert. Ein Beispiel aus dem Social-Media-Marketing: Da gibt es Automaten, mit denen Sie relevante Keywords recherchieren können, um so an passende Zielgruppen zu gelangen. Auch um Inhalte vollautomatisiert posten zu können.
Doch selbst Unternehmen mit 600 Mitarbeitern oder mehr haben häufig nur eine Person eingestellt, die dieses breite Feld bearbeitet. Was nützen dieser Person 2.500 Quellen, wenn diese zeitlich gar nicht zu sondieren sind? Mit Blick aufs Digitale empfehle ich stattdessen eine viel intensivere Screen-to-Screen-Kommunikation, also nicht die vollautomatische, massenweise Multi- oder Omnichannel-Versendung von Botschaften. Gerade in Bezug auf soziale Medien kommt es darauf an, genauer hinzusehen, selber zu liken, zu teilen und die eigene Timeline so zu formatieren bzw. zu filtern, dass ein guter Blick auf relevante Informationen frei wird: Über potenzielle Kunden, über Trends, über Marktbegleiter!
Diese Inputs sind wie Bargeld und häufig ergiebiger als ein Messebesuch, rentabler meistens ohnehin. Da gibt es Unternehmen, die zehn oder mehr Vertriebsmitarbeiter beschäftigen. Teils mit eigenen PKW, Spesen und enormen Kosten, um Kunden einzeln zu besuchen. Häufig ist nicht mal einer davon für digitales Marketing abgestellt, der hier brandaktuelle Informationen direkt aus dem eigenen Markt sondiert. Das finde ich erstaunlich. Ein Like, ein Share oder ein Kommentar sind höchstpersönliche, sehr emotionale Aktionen, die am Ende nicht nur viel Input erwirtschaften, sondern auch Interesse durch Dankbarkeit. Wenn Sie auch nur 1.500 Follower haben und diese Channels nicht alleine als Einbahnstraße für Werbung, sondern für echte Kommunikation nutzen, werden Ihnen die Follower auch zuhören. Schon 400 Follower könnten Wunder wirken, wenn einige darunter sind, die ihrerseits vielleicht sogar Tausende Follower auf sich ziehen und Ihre Inhalte reposten. So entsteht peu à peu die erforderliche Relevanz. All diese Channels sind Dialog- und eben gerade keine Monolog-Channels. Inbound, nicht Outbound-Szenarien also. Dabei ist entscheidend, eigenen Content (Hilfestellung, Unterhaltung, Inspiration, Storys, Anwendungen) unbedingt über einen eigenen Content-Hub, die eigene Website, zu publizieren, um solche Inhalte sodann viral zu verteilen und User auf die eigenen Angebote zu ziehen. Guter Content dient auch der Glaubwürdigkeit, baut Vertrauen auf, entlastet den Support, den Vertrieb und unterstreicht die Kompetenz der Unternehmen.

MedienManager: Die digitalen Umsätze übertrafen im Jahr 2018 erstmals die analogen. Bis 2022 könnten sie sogar schon bei 57 Prozent liegen, zeigt eine Analyse von PwC. Zugleich naht der Mobile-First-Moment. Laut PwC-Prognose wird der durchschnittliche Nutzer in zwei Jahren bereits mehr Daten auf dem Smartphone verbrauchen als mit Breitband-Internet. Macht es heutzutage überhaupt noch Sinn, in den analogen Werbemarkt zu investieren?

Zietlow: Absolut, ja! Je mehr Digitalisierung wir erleben, desto größer die Aufmerksamkeit für alles, was wir im wahrsten Sinne des Wortes begreifen können. Wie erwähnt, ist zwischen Inbound-Marketing und der Monolog-Kommunikation „Outbound-Marketing“ zu unterscheiden, die weniger oder gar nicht von Kommunikation im direkten Sinn geprägt ist. Inbound-Marketing sind so Sachen wie Screen-to-Screen-Social-Media, also das Kommunizieren mit einzelnen Personen oder Gruppen. Oder Content-Marketing, z. B. durch gescheite Inhalte auf der eigenen Website, die von potenziellen Zielgruppen selber gefunden werden etc. Outbound-Marketing ist eher klassische Werbung, bei der ein Medium direkt und unmittelbar für sich wirken muss.
Je digitaler unser Alltag wird, desto auffälliger sind analoge Medien, wenn sie entsprechend raffiniert formiert sind, denken wir an das Thema Multisensorisches Marketing. Gerade im Umfeld der Digitalisierung sehnen wir Menschen uns nach Greifbarem. Das ist keine Nostalgie, sondern schlicht Biologie. Emotionen wie der Tastsinn, der enorme Einfluss unserer Sinne auf (Kauf-)Entscheidungen, sind uns Menschen über Jahrmillionen ins Genom programmiert worden. Psychologen und Konsumforscher können diese Phänomene vollständig begründen. Die Evolution ist halt viel langsamer unterwegs als die digitale Revolution. Viele Argumente, die heutzutage euphorisch von Digital Natives für mehr Digitalisierung im Marketing propagiert und dann indirekt auch gegen Print in Stellung gebracht werden, sind kaum mehr als Mythen und basieren längst nicht immer auf Fakten. Eher auf Euphorien oder Manipulationen (Werbung) der digitalen Wirtschaft. Fakt ist, dass gerade im digitalen Marketing momentan höllisch viel Geld verbrannt wird. Wie sagte der Chief Brand Officer der Deutschen Telekom auf dem 2017er-Medienkongress wörtlich: „Werbungtreibende sind digitalbesoffen.“ Nochmals: Kommunikation und Werbung sind hier stark voneinander abzugrenzen. Informationen sind nochmals ein anderes Paar Schuhe. Alles ist irgendwie Marketing, doch nicht alles geht digital auch nur annähernd so gut, wie häufig propagiert.

 MedienManager: Bietet der analoge Werbemarkt vielleicht sogar Vorteile, mit denen der digitale nicht aufwarten kann?

Zietlow: Ja klar, ohne jeden Zweifel! Der aktuelle CASA-Monitor Handel hat 10.000 Personen online zu ihren Informationskanälen, Kaufmotiven und -einstellungen befragt. Printwerbung oder Beilagen sind nicht nur gewünscht und werden als viel weniger störend empfunden als sämtliche vergleichbare Channels. Sie lösen auch mit Abstand die besten Kaufimpulse aus. Leser gedruckter Werbung erinnern sich besser an Anzeigen und nehmen auch Inhalte mit erheblich mehr Aufmerksamkeit auf. Darum ist und bleibt Print als direktes, meinetwegen auch kommunikatives Outbound-Werbemittel oder in gedruckter Form als Direktwerbung ein optimaler, sehr rentabler und effizienter Marketingkanal, gerade wenn es um Response-quote kraft Aufmerksamkeit geht.
Dass Budgets häufig trotz aller Fakten in digitale Werbung investiert werden, ist einfach dieser Trend-Euphorie geschuldet, dieser imaginären Angst, irgendwas zu verpassen. Die digitale Wirtschaft stachelt diese Euphorie natürlich auch mit gigantischen Budgets an. Ideal ist ein guter Mix aus digitalen und analogen Maßnahmen. Mit Blick auf die ganz großen Marken fällt mittlerweile auch den Digital-Junkies auf, dass diese massiv in analoge Medien investieren, klug gepaart mit pfiffigen digitalen Kommunikationsstrategien. Doch gerade wenn es darauf ankommt, ist Print hier nach wie vor und teils sogar mehr denn je dominant. Ich bin völlig sicher, dass dies auch so bleibt.

 MedienManager: Storytelling ist zu einem ganz zentralen Aspekt der Werbung geworden – das war es immer schon, aber man entkommt dem Begriff im Marketing gar nicht mehr. Können Sie uns Beispiele zu den Möglichkeiten solcher Kampagnen geben? Zahlreiche Studien bestätigen den Wertschöpfungs-Abfluss an internationale Digitalgiganten. Wie können nationale Werbeanbieter dagegenhalten?

Zietlow: Storytelling ist ja „nur“ eine Spielart aus dem Feld des Content-Marketings. Grob gesagt, geht es halt um die Bilder im Kopf. Es gab bei „Wetten, dass..?“ eine Wette, bei der sich ein Wettkönig brutal viele Gegenstände merken konnte. Später erklärte dieser, er habe jeden ihm gezeigten Gegenstand gedanklich an einen Ort in seiner Wohnung gelegt und konnte sich spielend leicht an diese Bilder in seinem Kopf erinnern. Auch kleinere Unternehmen können hier Großartiges leisten. Wir machen für unsere Kunden häufig etwas weiterführende Projekte aus dem Bereich Storydoing. Wir kreieren z. B. einen Wettbewerb für einen guten Zweck oder ein bestimmtes Engagement des Unternehmens – eine meistens einmalige Aktion, über die dann situativ, aber laufend berichtet wird.
Hier finden wir passende Themen, die die potenziellen Zielgruppen auch mögen. Noch weiter geht Storyscaping: Im Grunde ist auch dies ein speziell entwickeltes Thema, nur dass diese Story dann weitererzählt wird, denken wir an Tech-Nick von Saturn, der über Monate „weitererzählt“ wurde. So was können in abgewandelter Form auch KMU leisten und sogar optimal publizieren. Solche Themen sind fast immer auch viral – beispielsweise über Social-Media-Channels oder eben sehr gut auch über Printmedien zu verbreiten. Vielleicht ist es an der Zeit, dass nationale Werbeanbieter hier weitreichender Dienstleistungen anbieten, also Storys entwickeln und dann auch darüber berichten.
Die Frage ist doch schließlich auch, welche Unternehmen in nationale Digitalgiganten investieren? Ich bezweifle nicht die Zahl an sich, was den Wertschöpfungsfluss anbetrifft, sehr wohl aber, ob diese Budgets für nationale Werbeanbieter bisher von Bedeutung waren. KMU werden wohl eher selten international werben und dürften auch morgen gut beraten sein, regional oder national zu werben und wirklich ohne jede Lobhudelei: Werbung in Printmagazinen ist nachweislich höchst effizient, im Vergleich zu fast allen anderen Channels im Outbound-Marketing, veredelte und/oder raffiniert formatierte Drucksachen eingeschlossen.  n