Mit offener Kommunikation gegen Vertrauenskrise

Nicht nur Wissenschaftsskepsis, sondern ein gesamtgesellschaftliches Vertrauensproblem ortet Sabine Chai, Geschäftsführerin der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI), im Vorfeld einer Diskussionsrunde bei den Alpbacher Technologiegesprächen. Das Problem könne folglich auch nicht von der Wissenschaft alleine gelöst werden. Zentrale Frage des Panels ist, „wem man trauen kann?“ und die Herausforderung, exzellent, relevant und vertrauenswürdig zu sein.

Seit 2008 widmet sich der Verein ÖAWI der Förderung guter wissenschaftlicher Praxis und untersucht und bewertet Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die Zahl der Anfragen sei seit damals stark gestiegen, so Chai, das sei aber nicht einer Verschlechterung der wissenschaftlichen Praxis geschuldet, sondern einerseits der Anzahl der Mitglieder (Hochschulen, Forschungsförderer und außeruniversitäre Forschungsorganisationen), die seit der Gründung von zwölf auf 55 angewachsen ist, und dem gesteigerten Problembewusstsein.

Plagiate seien nicht so häufig, wie es in der Öffentlichkeit oft den Anschein habe. „Wer abschreibt, ohne die Quelle zu zitieren, erntet, wo er oder sie nicht gesät hat“, so Chai im Gespräch mit der APA. Für den „wissenschaftlichen Fortschritt schädlicher“ seien aber Fälle, in denen Daten erfunden oder verfälscht werden, da sich darauf aufbauende Forschungen und praktische Handlungen auf die Integrität der Ergebnisse verlassen.

Dennoch arbeite die Mehrheit der Forscherinnen und Forscher verantwortungsvoll, betont Chai. Für die Fälle, in denen es aber Probleme gebe, brauche es „eine offene Fehlerkultur, transparente Prozesse und klare Standards. Transparenz schafft Vertrauen.“

Den Grund für die aktuelle Vertrauenskrise in Fällen von Missachtungen der wissenschaftlichen Integrität zu suchen, hält Chai für zu kurz gegriffen. Sie verweist auf den Gesellschaftsvertrag, nach dem jedes Mitglied einer Gesellschaft für einen bestimmten Bereich zuständig sei und sich darauf verlasse, dass andere Personen in ihren jeweiligen Bereichen ebenfalls saubere Arbeit leisten.

„Forschung ist dafür da, Wissen zu produzieren. Personen in leitenden Funktionen, inklusive der Politik, verwenden dieses Wissen, um Entscheidungen zu treffen. Forschungsergebnisse gingen also durch mehrere Instanzen und Interpretationsebenen, bevor eine darauf basierende Handlungsempfehlung an die Gesellschaft ausgegeben würde, deren Mitglieder sie wiederum durch ihre individuell verschiedenen Wahrnehmungsfilter aufnehmen.“ Chai denkt etwa an die Maskenpflicht während der Corona-Pandemie. „Politikerentscheidungen sollten im Interesse aller und zum Nutzen aller getroffen werden. Es scheitert aber oft am Vertrauen der Gesellschaft in diese Entscheidungsträger.“

Bei der Diskussionsrunde in Alpbach spricht Chai gemeinsam mit anderen Experten aus Wissenschaft und Forschung über die Herausforderung, wissenschaftliche Exzellenz mit Glaubwürdigkeit zu vereinen. Dass die Diskussion vom Wissenschaftsministerium und dem Wissenschaftsfonds FWF veranstaltet wird, sei „durchaus passend, weil es eben nicht nur ein Interesse der Forschung, sondern auch der Politik ist, der Krise des Vertrauens konstruktiv zu begegnen“.

Chai nimmt die Wissenschaft aber dennoch nicht aus der Verantwortung, vertrauenswürdig zu sein und verantwortungsbewusst zu arbeiten. Auch eine gute Wissenschaftskommunikation sei notwendig, denn „wenn man komplexes Wissen in die Breite kommunizieren will, muss man es so aufbereiten, dass es auch für Außenstehende Sinn macht“.

Außerdem gehöre die Forschungskultur an sich reflektiert. Wenn etwa Anerkennung in Forschungskarrieren an rein quantitativen Maßen wie Publikationszahlen hänge, sei das „nicht unbedingt der Einhaltung guter wissenschaftlicher Praxis förderlich“, rät Chai auch dazu, Ranglisten wie das Shanghai Ranking kritisch dahingehend zu hinterfragen, welche Indikatoren für die Reihung der Hochschulen ausschlaggebend sind.

Das Panel, so Chai, sei der Versuch eines Anfangs, sich aus der Vertrauenskrise zu befreien. Die Diskussion müsste aber „auf breiterer Ebene weitergeführt“ werden und nicht nur Theorie bleiben, sondern letztlich „zu einer Umsetzung führen. Wir sind als Gesellschaft im Moment einer Menge Krisen auf einmal ausgesetzt. Das ist natürlich kein bequemer Moment für so etwas. Auf der anderen Seite stoßen gerade Veränderungen oft Diskussionen an“, sieht Chai in der Expertenrunde eine Gelegenheit für einen ersten Schritt raus aus der Krise.

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