Muratow: Staatspropaganda größte Bedrohung für Journalisten

Medienvertreter und Diplomaten aus aller Welt haben am Freitag bei einer UNO-Konferenz in Wien ein gemeinsames Bekenntnis zu unabhängigem und kritischem Journalismus abgegeben. Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow rief in seinem Impulsreferat zum Kampf gegen staatliche Propaganda auf. „Die größte Bedrohung für Journalisten ist Propaganda“, sagte Muratow. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) versprach bei der Eröffnung, dass auch Österreich seine „Hausaufgaben“ machen werde.

Die Konferenz wurde vom Außenministerium und den Vereinten Nationen zum zehnten Jahrestag des UNO-Aktionsplans für die Sicherheit von Journalisten veranstaltet, der maßgeblich auf Bemühungen Österreichs zurückgeht. Raab eröffnete die Konferenz in Vertretung des an Covid-19 erkrankten Außenministers Alexander Schallenberg (ÖVP). Live von Paris bzw. Genf zugeschaltet waren die Co-Veranstalter, die Generaldirektorin der UNO-Kulturorganisation UNESCO, Audrey Azoulay, und UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk.

Muratow schilderte in seinem Referat eindrücklich die Lage der Medien in seiner Heimat Russland. „Der Genozid an den Medien ist abgeschlossen“, sagte der Chef der verbotenen unabhängigen Zeitung Nowaja Gaseta. Stattdessen gebe es das „Gift“ der von staatlichen Medien wie RT verbreiteten Propaganda, so Muratow, der in diesem Zusammenhang ausführlich die abscheulichen Kindermord-Phantasien des RT-Moderators Anton Krasowski zitierte. Krasowski sei nach seinen Äußerungen im Staatsfernsehen zwar suspendiert worden, doch habe er gesagt, dass er weitermachen wolle. Er habe sich lediglich dafür entschuldigt, „geschmacklos“ gewesen zu sein, empörte sich Muratow.

Muratow dankte in seiner Rede europäischen Staaten dafür, vertriebene russische Journalisten aufgenommen zu haben. Doch sei es „unangenehm zu hören, dass schon zu viele gekommen sind und sie zurück gehen sollen“. Statt Emigranten erneut zu Emigranten zu machen, sollte ein Fonds eingerichtet werden, um Journalisten im Exil bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Dieser Fonds solle nach der getöteten russischen Journalistin Anna Politkowskaja benannt werden, schlug Muratow vor. Journalisten müssten nämlich weiter das tun, was sie können, nämlich „Fakten und Gedanken sammeln“. Selbst wenn es scheine, dass man nichts ändern könne, habe man die Verpflichtung, weiterzumachen, betonte der Friedensnobelpreisträger.

„Starke Demokratien haben keine Angst vor starken Meinungen, im Gegenteil. Demokratien werden stärker, wenn Informationen frei geteilt werden können“, sagte Raab bei der Eröffnung der eintägigen Konferenz im Palais Niederösterreich. Sie beklagte, dass sich die Lage der Pressefreiheit in den vergangenen Jahren in einer Reihe von Staaten verschlechtert habe. „Wir dürfen und werden nicht zulassen, dass dieser Trend weitergeht“, so Raab, ohne Österreich zu erwähnen. Dieses war heuer im Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) von Platz 17 auf 31 abgestürzt. Sie sagte aber, dass man die Pressefreiheit auch in Österreich nicht als gegeben ansehen dürfe und Politiker „hart daran arbeiten“ müssten, sie „zu erhalten und zu stärken“. „Wir müssen auch unsere Hausaufgaben machen“, sagte Raab mit Blick auf die jüngst vorgestellten Eckpunkte für eine Medienreform.

Raab kündigte auch einen verstärkten Einsatz Österreichs für die Pressefreiheit international an. Konkret wolle man 150.000 Euro für ein UNO-Medienprojekt für Frauen in Afghanistan spenden. Außerdem seien Trainingskurse für Journalisten durch das Bundesheer geplant. Weiters soll im Rahmen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit stärker auf den Schutz von Medien Rücksicht genommen zu werden. Raab hob in ihrer Rede auch hervor, dass vor allem Journalistinnen Bedrohungen ausgesetzt seien, insbesondere auch online.

Die Generaldirektorin der UNO-Kulturorganisation UNESCO, Audrey Azoulay, zog in ihrem Statement eine „gemischte“ Bilanz des vor zehn Jahren beschlossenen UNO-Aktionsplans. Immer noch würden „viel zu viele Journalisten“ getötet. Es sei aber zumindest gelungen, die Straflosigkeit etwas zu verringern. Menschenrechtskommissar Türk wies darauf hin, dass die Arbeit von Journalisten angesichts der wachsenden sozialen Spannungen und dem sinkenden Vertrauen in politische Institutionen immer wichtiger werde. Konkret forderte er ein Moratorium für den Export, Verkauf und Einsatz von digitalen Überwachungsmitteln, weil diese gegen Journalisten eingesetzt werden.

Angesichts der Teilnahme von gefährdeten Journalisten aus aller Welt – von Kolumbien bis Pakistan – waren die Sicherheitsvorkehrungen im Palais Niederösterreich stark. Zusätzlich zur obligatorischen Sicherheitskontrolle am Eingang wimmelte es im Gebäude nur so von Sicherheitsleuten. Menschengroße Kartonaufsteller mit Porträts getöteter Journalisten – wie etwa des Slowaken Jan Kuciak oder des saudiarabischen Bloggers Jamal Khashoggi – unterstrichen die Notwendigkeit dieser Vorkehrungen. Zwischen 2006 und 2021 wurden mehr als 1.200 Journalistinnen und Journalisten getötet, wobei die Verantwortlichen in 87 Prozent der Fälle nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.

Bei der Konferenz kamen vor allem Medienvertreter zu Wort, darunter auch APA-Geschäftsführer Clemens Pig in seiner Eigenschaft als Präsident der Europäischen Agenturallianz EANA. Bereits am Donnerstag hatten Experten in einer vorbereitenden Konferenz über Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Journalisten diskutiert. Zum Abschluss wollten die in Wien versammelten Staatenvertreter am Abend eine „politische Deklaration“ annehmen, in der sie sich „alarmiert“ über die anhaltenden Angriffe auf Journalisten und die „anhaltende Straflosigkeit“ im Fall von Verbrechen gegen Journalisten zeigen und ihr Bekenntnis zum UNO-Aktionsplan bekräftigen. Das achtseitige Dokument wurde im April 2012 vom UNO-Leitungsgremium (Chief Executives Board) angenommen und später auch von der UNO-Generalversammlung, dem Menschenrechtsrat sowie der UNESCO begrüßt.