ORF-Stiftungsrat: Streaminglücke sorgt für Sorgenfalten

Am Donnerstag haben sich die ORF-Stiftungsräte zu einer letzten Sitzung in der aktuellen Funktionsperiode getroffen. Diese wurde genutzt, um die Arbeitsgruppe „Cultural Change, Diversity, Frauenförderung im ORF“ einstimmig einzurichten. Die ORF-Geschäftsführung beauftragt wiederum eine Taskforce, sich intensiv mit der wachsenden Streaminglücke zu befassen. Die Einnahmen aus dem Programmentgelt blieben im Vorjahr aber noch stabil, wie der vorläufige ORF-Jahresabschluss zeigt.

Demnach lagen die Umsatzerlöse des ORF bei rund einer Milliarde. Davon machten die Erlöse aus Programmentgelten wie schon 2020 645 Mio. Euro aus. Jene aus der Werbung steigerten sich auf 228 Mio. Euro (2020: 200 Mio. Euro). Das vorläufige Ergebnis der ORF-Muttergesellschaft 2021 beträgt 6,7 Mio. Euro, jenes des ORF-Konzerns 9,6 Mio. Euro.

„Die Geschäftsführung hat ein bestens bestelltes Haus übernommen“, lobte SPÖ-„Freundeskreisleiter Heinz Lederer mit Blick auf die Zahlen den mit Jahreswechsel abgelösten früheren ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Kritisch sah er im Gespräch mit der APA, dass ORF-Chef Roland Weißmann weitere Sparmaßnahmen aufgrund steigender Kosten zusätzlich zu den bereits bekannten 200 Mio. Euro andenkt. Der ORF solle ein „Haus der Exzellenz“ und kein „Haus des Elends“ sein, warnte Lederer. ÖVP-„Freundeskreisleiter“ Thomas Zach verwies im APA-Gespräch dagegen auf den beschlossenen Finanzplan. Ziel sei es, ausgeglichen zu bilanzieren und den Eigenkapitalanteil zu erhöhen. „Damit ist klar, die Geschäftsführung muss mit Blick auf die wirtschaftlichen Entwicklungen handlungsfähig bleiben und ihre Mittel möglichst effizient einsetzen“, so Zach.

Sorge bereitet auch die sogenannte „Streaminglücke“, womit gemeint ist, dass der ORF keine Gebühren für Streaming verlangen darf. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) befasst sich derzeit mit einem Antrag des ORF dazu. Das öffentlich-rechtliche Medienhaus argumentiert, dass die Streaminglücke langfristig die Finanzierung des ORF gefährde und eine Verletzung des Rechts auf Rundfunkfreiheit und auf Gleichheit vor dem Gesetz vorliege. Weißmann hat zudem eine Taskforce eingerichtet, wie er den Stiftungsräten darlegte. Sie soll sich etwa auf Motivsuche für GIS-Abmeldungen begeben und eruieren, wie man die Gebührenzahlerzahl steigern kann.

„Der ORF geht immer stärker in den Streamingraum hinein, bekommt aber nichts dafür. Dabei wird die Streaminglücke nicht kleiner“, merkte Lederer an. Auch Lothar Lockl, Leiter des Grünen-„Freundeskreises“, wies gegenüber der APA darauf hin, dass der ORF einen Versorgungsauftrag habe und junge Menschen nun mal auf digitalen Plattformen unterwegs seien. Die Bemühungen, sie dort auch zu erreichen, müssten finanzielle Bedeckung finden. „Der Gesetzgeber hängt dem ORF einen Mühlstein um und erleichtert es der internationalen Konkurrenz“, monierte er etwa mit Verweis auf die 7-Tage-Abruffrist für ORF-Inhalte. Diese sei „nicht im Sinne des Versorgungsauftrags“.

Die Stiftungsräte richteten einstimmig auf Antrag von Zach, Lederer und Lockl eine Arbeitsgruppe namens „Cultural Change, Diversity, Frauenförderung im ORF“ ein. Gemeinsam mit der Geschäftsführung soll diese angesichts Hunderter anstehender Pensionierungen ein Personalentwicklungspaket auf die Beine stellen und Kulturwandel sowie Diversität strategisch begleiten. Die Stiftungsrätin Petra Stolba übernimmt den Vorsitz der 14-köpfigen Gruppe, Andrea Danmayr die Stellvertretung.

ORF-Chef Weißmann nützte die Sitzung, die Vorhaben der Geschäftsführung zu präsentieren. Dabei sei es ihm gelungen, einen „guten Eindruck“ zu vermitteln, so Zach. Auch Lockl zeigte sich von dem Präsentierten zufrieden: „Es ist spürbar viel Energie und frischer Wind da.“

Wie wichtig öffentlich-rechtliches Programm speziell in Krisenzeiten sei, untermauerte Weißmann mit einer vom ORF in Auftrag gegebenen Integral-Umfrage unter rund 700 Personen. Demnach haben 83 Prozent die Berichterstattung zum Ukraine-Krieg in zumindest einem ORF-Angebot verfolgt. Davon meinten 83 Prozent, die Berichterstattung sei aktuell, 79 Prozent nahmen sie als verständlich wahr. 91 Prozent erachteten ein gut ausgebautes Korrespondentennetz als wichtig.

Mitte Mai findet die konstituierende Stiftungsratssitzung für die nächsten vier Jahre statt. Dabei wird auch ein neuer Vorsitzender gewählt, wobei ein „Sideletter“ der türkis-grünen Bundesregierung ein Vorschlagsrecht für die Grünen vorsieht. Dadurch wurde die Vermutung befeuert, dass Lockl den derzeitigen Vorsitzenden, Norbert Steger, ablösen könnte. Lockl leitet aktuell den Grünen-„Freundeskreis“ im Stiftungsrat. Dieser dürfte in den nächsten Monaten wachsen und damit die Mehrheit regierungsnaher Stiftungsräte weiter ausbauen. „Wenn er ein gutes Konzept vorlegt, dann hat er unser Wohlwollen“, sagte SPÖ-„Freundeskreisleiter“ Lederer und beschrieb Lockl als „tadellose Persönlichkeit“.

Der ORF-Redakteursrat forderte im Vorfeld der letzten Stiftungsratssitzung eine rasche Überarbeitung und Modernisierung des ORF-Gesetzes, da der derzeit vorgesehene Bestellmodus für die Aufsichtsgremien verfassungswidrig sei. Die Redakteursräte verlangten etwa einen transparenten Bestellvorgang samt der Möglichkeit, sich zu bewerben, sowie eine Vertretung aus den eigenen Reihen im Stiftungsrat.

Auch der Presseclub Concordia untermauerte am Mittwoch in einer Aussendung seine langjährige Forderung nach Entpolitisierung der ORF-Gremien. Der parteipolitische Einfluss auf die Aufsichtsgremien des ORF sei „untragbar“. Seit 1974 ist die Unabhängigkeit und Vielfalt des Rundfunks im Verfassungsrang festgeschrieben. „Es ist höchste Zeit, dass diese Unabhängigkeit durch das ORF-Gesetz abgebildet wird“, so der Presseclub.

Tatsächlich hat sich Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) eine Novelle des ORF-Gesetzes vorgenommen. Jedoch zielt diese primär auf die Möglichkeiten des ORF im digitalen Raum ab. Eine Reform der Gremien ist nicht geplant.