Mit dem Einzug von Amazons Retail Marketing erfährt Onlinewerbung einen krassen Umbruch. Der Netzgigant will offensichtlich die Kontrolle im Werbemarkt übernehmen. Ist damit das Duopol von Google und Facebook bald Geschichte?
Seit Jahren beherrschen Google und Facebook den weltweiten Werbemarkt. Gemeinsam erwirtschafteten sie allein im Jahr 2017 52,4 Milliarden US-Dollar durch Werbung, berichtet der Marktforscher eMarketer. Experten zufolge könnte der Onlinehändler Amazon dem Duopol trotz vergleichsweise mickrigen 1,7 Milliarden US-Dollar Werbeumsatz gefährlich werden. Tatsächlich drängt Amazon immer weiter in den Markt hinein, nicht zuletzt wegen der Erschließung eines völlig neuen Marketinggebiets: Retail Marketing.
Neue Mediengattung. Mit der Öffnung von Handelsplattformen für Werbung und Branded Content hat sich Retail Media als spannende neue Werbekategorie hervorgetan und die einst lineare Customer Journey vom Weg abgebracht. Grund für die schlingernden Pfade sei ursprünglich ein Wandel im Kaufverhalten, erklärte Amazon-Vermarktungschef Philip Missler auf der dmexco 2017 in Köln: „Da kaufen Leute online, mobile, nutzen einen Dash Button, kaufen über Voice, und ja, da gehen auchLeute noch in den Drogeriemarkt,aber die allermeisten davon habenonline schon eine Meinungaufgebaut.“ Den Herausforderungen einer so vielfältigen Customer Journey sei allein Retail Marketing gewachsen: „Es ist nicht mehr so einfach, und darauf findet E-CommerceMarketing, wie wir es nennen, Antworten“, so Missler. Die wichtigste Aufgabe sei es nun, bessere Insights über das Kaufverhalten zu generieren und eine genauere Kundenansprache zu erreichen – kurz: die richtigen Daten richtig zu nützen.
Unschlagbare Daten. Praktischerweise besitzt Amazon bereits die allerbesten Daten im Netz. „Die Qualität der Daten ist insbesondere für das Retailmarketing unschlagbar. Hier werden Google und Facebook sicher gegen die neue Advertising-Macht Amazon verlieren“, erwartet Marc Aufzug, CEO der Global Marketplace Group: „Damit lassen sich auch auf fast jeder beliebigen anderen Website die Anzeigen schalten, die den Kunden sehr genau nach seinen Interessen und seinem Kaufverhalten abholen – mit entsprechendem Erfolg im Hinblickauf die Werbeziele.“ Gleichzeitig gilt die Masse an Daten, die Amazon in Hülle und Fülle zu bieten hat, als einzigartig: „Laut einer PWC-Studie im Sommer 2017 kaufen mittlerweile 90 Prozent der Deutschen bei Amazon. Außerdem verfügt der Platzhirsch über die umfangreichsten Shopper-Daten am Markt. Bei kluger Nutzung dieser Daten kann Streuverlust minimiert werden“, erklärt Petra Schmidt, Fachleiter inder Performics-Unit Amazics. Es sind also Reichweite und Qualität der Daten in Kombination, die den Onlinehändler auf dem globalen Schlachtfeld der Werber mitmischen lassen.
Produktsuchmaschine Nr. 1. Was die Produktsuche betrifft, hat Amazon Google längst vom Thron gestoßen. Laut einer Studie des Forschungsinstituts ibiresearch beginnen 34 Prozent der deutschen Kaufwilligen ihre Produktrecherche bei Amazon und nur 15 Prozent auf Google. „Amazon ist damit die Produktsuchmaschine Nummer 1. Dementsprechend ist diese Plattform extrem spannend für Werbetreibende“, weiß Aufzug.
Deutlich effektiver als andere Marketingmöglichkeiten. Als besonders interessant gilt das Marketing direkt auf der Amazon-Website, da Amazon die unterste Position im Purchase Funnel und damit die vielleicht entscheidendste Stellung im Web hält: „Bemüht ein potenzieller Kunde die Amazon-Suche, ist sein Suchinteresse ein anderes als beispielsweise bei Google: Während dort häufig zu Informationszwecken gesucht wird, hat der Nutzer bei der Suche über den E-Retailer (hier im Speziellen: Amazon) größtenteils bereits ein Kaufinteresse. Es bietet sich somit für uns die Gelegenheit, mit der Präsenz des Kunden direkt am, Point of Purchase‘ anzusetzen“, erklärt Schmidt. Wer sich auf Amazon umschaut, ist also in der Regel bereits an einem Kauf interessiert und gehört damit zur attraktivsten Zielgruppe für Werber.
Gezielt messbar. Amazons Daten über seine Kunden sind aber noch granularer. So weiß der Händler genau, wer wann und nach wie vielen Clicks einen Kauf getätigt hat. Amazon weiß auch, was der Kunde sonst in seinem Warenkorb lagert. Insofern bietet sich ein einmaliger Einblick: Amazon kann die Information über die Suchen seiner Website-Besucher direkt mit dem vernetzen, was sie tatsächlich kaufen. Daher könne man auf Amazon sehr gezielt werben, so Aufzug: „Man holt den Kunden genau dort ab, wo und nach was er gerade sucht und spielt ihm entsprechende Anzeigen aus. Durch den guten Fit zwischen Kundenintention und Werbeform lassen sich Kampagnen ausspielen, die meist deutlich effektiver sind als andere Marketing-Möglichkeiten.“Praktisch am Marketing auf Amazon ist außerdem die Messbarkeit des Kampagnenerfolgs: „Im RetailMarketing wird der Werbeerfolg direkt mit Sales bzw. Umsatz in Beziehung gesetzt. Nirgendwo sonst ist man als Werbetreibender so nah am Umsatz wie auf Amazon“, so Aufzug. Amazon verspricht Echtzeit-Insights, wie sich eine Marketingkampagne entwickelt und ob tatsächlich mehr verkauft wird. Diese Instant-Ergebnisse bieten einen klaren Vorteil gegenüber klassischen Werbeformen wie TV-Kampagnen, deren Erfolge erst nach Wochen sichtbar werden.
Invasion in Europa. Um Google und Facebook im digitalen Werbemarkt einzuholen, lockt Amazon mit Werbetechnologien und weitet sein neuestes Angebot auf Europa aus: Transparent Ad Marketplace (TAM) heißt die Technologie, die seit Dezember 2016 in den USA und nun erstmals auch in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien anwendbar ist. Mit derHeader-Bidding-Lösung TAM lassenPublisher auf einen Werbeplatz bieten- das höchste Angebot gewinnt. Das Produkt soll Einblick verschaffen, welche Unternehmen für welche Werbefläche bieten und auch wer die Versteigerung gewinnt. Diese Transparenz sollte als Motivation für Publisher genügen; die Käufer werden mit erschwinglichen Preisen geködert: „Das Werbeumfeld auf Amazon ist verglichen mit anderen Online-Marketing-Kanälen noch recht neu. Dies hat insbesondere bei gebotsbasierten Werbeformen einen Vorteil, was die Werbekosten angeht“, so Aufzug.
Machtübernahme. Der Einzug von Amazon in die Onlinewerbung wurde strategisch vorbereitet. Im letzten Jahr hat das Unternehmen seine Werbeinvestitionen mit jedem Quartal erhöht und reihenweise Werbeleute für die Marketingabteilung in New York angeworben. Mit 48,2 Prozent Wachstum war Amazon 2017 mit Abstand der am schnellsten wachsende Player im Konkurrenzkampf der Werber. Schätzungen von eMarketer zufolge werden sich die Einnahmen des Onlinehändlers aus dem Digitalgeschäft bis 2019 auf über drei Milliarden US-Dollar erhöhen. Es scheint fast, als habe Amazonin den letzten Jahren bedächtig die Puzzleteile zusammengesetzt, um eine Marketingplattform zu schaffen, die aus der schieren Größe ihrer Nutzer Profit schlagen kann. Ob, wann und wie Amazon zum finalen Schlag gegen das Duopolvon Google und Facebook ausholt, bleibt abzuwarten. Unterschätzen sollte man den Gegenspieler jedenfalls nicht, warnt Schmidt: „Vor dem Thema E-Commerce kann sich im Jahr 2018 kein Unternehmen mehr verschließen, dafür ist der Shift in Richtung Onlinehandel mittlerweile einfach zu groß und erstreckt sich über zu viele Branchen.“
Autor: Anna Polyzoides