Online-Medien: Gefangen in der Filterblase
Wie Algorithmenabhängigkeit im Newsfeed ausgemerzt werden kann.
Filterblase und Algorithmenabhängigkeit – sie werden oft als Hauptproblemfaktoren bei der Online-Mediennutzung genannt. Denn: Wenn der Newsfeed aus dem Social Web die einzige Informationsquelle ist und die Meldungen von leicht beeinflussbaren Zielgruppen konsumiert werden, wird’s problematisch. Aber nicht nur das. Auch werbetreibende Unternehmen haben ihre liebe Not mit diesen Umständen. Der Hauptgrund dafür: Durch das – oft gedankenlose – Teilen der vermeintlich seriösen Neuigkeiten erhalten diese „Medien“ dank der „Relevanz“ auch noch eine größere Reichweite. Wie beeinflusst dieses Szenario das Verhalten werbetreibender Unternehmen?
Wahl der Info-Quelle. Cosima Serban, Expertin für Digitalisierungsprozesse, Digitale Strategie und Media Innovationen sowie neue Vizepräsidentin des Interactive Advertising Bureau Austria (IAB Austria), möchte zunächst einmal differenzieren: „Bei der endlos weiten und vielfältigen Palette an Informationsquellen ist kaum vorstellbar, dass Social Media die einzige Plattform ist, wo über alle Zielgruppensegmente hinweg Aktualität und Input gesucht werden. Wenn wir von den ganz Jungen oder Bequemen ausgehen, kann es in der Tat stimmen, dass primär oder alleinig Social-Media- Plattformen für den Informationskonsum verwendet werden.“ In diesem Bereich sieht sie die Lösung innerhalb der Aufklärung und Bildung: „Wenn Jugendliche früh genug aufgeklärt und einer höheren Medienvielfalt vorgestellt werden, können sie nicht mehr in die Falle tappen, nur ihrem Newsfeed zu glauben. Sie lernen Vergleiche zwischen unterschiedlichen Quellen zu erstellen, richtig und falsch zu unterscheiden und immer wenigstens eine zweite Meinung zu suchen. Alle anderen müssen sich dran gewöhnen, mehrere Quellen zu überprüfen, bevor ihre Meinung unwiderruflich konsolidiert ist.“ Die „größere Gefahr“ stecke nicht primär im Anzeigenbereich, sondern vielmehr im Content, bezieht sich Serban auf den einige Jahre zurückliegenden Datenmissbrauchs-Skandal rund um Cambridge Analytica, der ihrer Meinung nach – nach Aufbrechen des Skandals – „einige sehr gute Beispiele zur Manipulation durch die Social-Media-Konditionierung gezeigt hat“ (siehe Kasten). Wenn es in einem Kontext rein um Marken geht, brauchen diese in Zukunft immer mehr Know-how, Fokus und Manpower im Bereich Social-Media-Content. Dies unabhängig davon, ob es Facebook, Instagram, Twitter, LinkedIn, Xing, kununu, TikTok, Snapchat oder eine andere Plattform ist.“ In diesem Sinne werden vermutlich PR und Content-Abteilungen enger zusammenwachsen, glaubt die Digitalisierungsexpertin.
Negativ-Effekte. Für Werbetreibende stellt sich die Frage genau auf umgekehrte Art und Weise. „Es sind meistens nicht mehr die konstruierten Botschaften und inszenierten USPs, die sich im Newsfeed etablieren und haften bleiben. Es sind oft die negativen Reaktionen auf die Markenbotschaften, die sich rasant verbreiten und meinungsbildende Effekte kreieren“, so Serban weiter. Oft finde leider auf Unternehmensebene der Entscheidungsprozess, was Markenkommunikation betrifft, ohne viel Rücksicht auf die Geschehnisse, die innerhalb der Social-Media-Welt passieren, statt, analysiert die Digitalexpertin. Mögliche sozio-politische Implikationen in der realen Gesellschaft, Shitstorm-Szenarien und potenzielle Wellen an negativem Feedback werden auch selten wirklich berücksichtigt. So entscheiden sich Marken, ein bestimmtes Image durch den werblichen Push zu propagieren, mit bestimmten Botschaften aus Marketingzielgruppen treue Käufer und aus bestehenden Kunden überzeugte Markenbotschafter zu machen. Serban: „Wenn das nicht wie geplant abläuft, könnte die Marke langfristig einen erheblichen Imageschaden erleben. Wenn man von der Filterblase ausgeht, sehen während eines Shitstorms Social-Media-Nutzer mit ähnlichen Interessen immer wieder nur dieselben negativen Reaktionen.“ Andererseits sehen „aufgeklärte“ Menschen, dass nicht immer das, was im Newsfeed am meisten vertreten ist, auch der puren Wahrheit und gelebten Realität entspricht …
Mehrwert und Relevanz. Ein Begriffspaar, nämlich Mehrwert und Relevanz, könnte dadurch wieder ins Rampenlicht rücken, glaubt Serban: „Wer keine redundanten Botschaften oder sogar Lügen in zwar nette, aber wertbefreite Werbemaßnahmen verpackt, wird von den Usern auch nicht so kritisch hinterfragt. Wer mit werblichen Inhalten einen wahren Kern an Insight in die Produktwelt transportiert, kann nur gewinnen.“ Ob es dann alle Nutzer direkt für 100 Prozent authentisch annehmen, ist eine Frage der individuellen Wahrnehmung, so Digitalisierungsexpertin Serban weiter: „Wenn wenigstens die Botschaften stimmen, minimiert man die Risiken.“ Aktuell werden Personalisierung und individuelle Botschaftsanpassungen anhand bestimmter Daten hoch angepriesen. Dieses Thema spiele sehr stark auf die Vorteile von Mehrwert und Relevanz: „Jeder sieht genau das, was ihn oder sie interessiert.“ Auf der anderen Seite, je mehr personalisiert und maßgeschneidert angesprochen wird, basierend auf den vorhandenen Daten, desto weniger hat die angesprochene Person die Chance, jemals ihrer persönlichen Bubble zu entkommen. Das setzt auch voraus, dass die Daten, die als Basis dienen, überhaupt zur Gänze stimmen, meint Szene-Kennerin Serban: „Empfehlungsmechanismen für Inhalte und KI-basierte Systematiken für personalisierte Kaufempfehlungen schränken den Zugriff zur Informationsvielfalt ein und hinterlassen nur eine vorprogrammierte Meinungssingularität.“
Werbebudgets. Welche Probleme ergeben sich aufgrund dessen für die Verteilung des Werbebudgets? Mediaplanerin Marcela Atria, Geschäftsführerin von Atrium Consulting: „Ich sehe, dass in den letzten zehn Jahren die Reise immer mehr zu Online-first und Mikro-Zielgruppen geht. Ich halte das für einen Fehler, da nicht nur die Markenbekanntheit abnimmt, sondern auch die Werbegelder ins Ausland fließen.“ Was die allgemeine Mediaplanung betrifft, werden Social-Media-Plattformen einen immer weiter wachsenden, wesentlichen Teil der werblichen Markenkommunikation darstellen, glaubt auch Cosima Serban: „Werbung im Social-Media-Bereich ist günstig, die soziodemografischen, psychografischen, interessenbasierten und kontextbezogenen Targetings sind gut, die analytischen Messsysteme sind sehr präzise. Social Media ist nicht mehr wegzudenken.“ Vor allem für KMU, Start-ups und Firmen, die nicht viel Budget für digitale Werbemaßnahmen investieren (können). Serban ist davon überzeugt, dass man mehrere Parallelstrategien laufend testen und schauen sollte, was die besten Ergebnisse liefert: „Einen höheren Wettbewerbsvorteil kann sich diejenige Firma sichern, die ihrer Community zuhört.“
Auswege. Zusammenfassend könne man sagen, dass viel mehr Aufklärung nötig ist, um einen besseren Umgang mit Informationen im Social-Media-Bereich sicherstellen zu können, ist Digital-Fachfrau Serban überzeugt: „Bildung hilft bei der Auseinandersetzung mit Content und bei der Erkennung von Authentizität vs. Agenda Setting. Was die werbetreibende Wirtschaft betrifft, werden zukünftig immer mehr Investitionen in Richtung Content-Erstellung und Storytelling fließen.“ Das bedeute aber nicht, dass das Anzeigengeschäft abnehmen wird, denn die zwei Bereiche beeinflussen sich gegenseitig und wachsen parallel weiter. „Pläne müssen das Beste aus den Massenmedien, also Reichweite, mit dem Besten aus den Online-Möglichkeiten mischen“, meint dazu Mediaplanerin Atria: „Das ist zwar nicht modern, aber gut. Alt, aber sexy …“
Der große Datenskandal:
Cambridge Analytica war ein 2014 gegründetes Datenanalyse-Unternehmen, das im Mai 2018 Insolvenz anmeldete. Es hatte seinen Hauptsitz in New York City und sammelte und analysierte Daten über potenzielle Wähler mit dem Ziel, durch individuell zugeschnittene Botschaften das Wählerverhalten zu beeinflussen (Mikrotargeting). An der Gründung von Cambridge Analytica war auch Stephen Bannon („Breitbart News“) beteiligt. Bereits 2013 gab es in den USA erste Versuche, mittels Umfragen und gezielten Botschaften („psychographic messaging“) Einfluss auf potenzielle Wähler zu erhalten. Berühmt-berüchtigt wurde das Unternehmen jedoch mit der Aussage von Whistleblower Christopher Wylie im März 2018, dass Hundertausende Face-book-Nutzer – wohl unwissentlich oder zumindest im guten Glauben – ihre Profile und Kontakte freigaben. Diese wurden zu Datensätzen zusammengesetzt, die die Grundlage für die Arbeit von Cambridge Analytica in US-Wahlkämpfen bildete. Auch Unterstützer der Brexit-Kampagne in Großbritannien nutzten angeblich die Dienste von Cambridge Analytica, was jedoch immer dementiert wurde.