Ein Break-Point in der Menschheits- und Wirtschaftshistorie
Die vier bisherigen industriellen Revolutionen hatten gewaltige Veränderungen im Gepäck, die die Menschheitsgeschichte maßgeblich veränderten – immer auch mit direkten Auswirkungen auf jeden einzelnen Erdenbürger.
Wir sind inmitten einer noch eher primitiven Stufe der Digitalisierung, die erst allmählich Bereiche wie Neuronal Computing (Elon Musk stellte jüngst einen Chip „Neuralink“ als Implantat fürs Gehirn vor) oder künstlicher Intelligenz (Quantencomputer mit 100 Millionen Mal schnellerer Rechenleistung) erobert. In dieser digitalen Frühzeit werden uns zwei Tatsachen bewusst:
Erstens, dass die Welt globalisiert ist: Insbesondere getriggert durch die Digitalisierung, mit der eine zunehmende Bedeutungslosigkeit von Territorien, ja selbst Staaten einhergeht.
Zweitens, dass es ein „Weiter so“ nicht mehr geben wird. Viele kapitalistische Volkswirtschaften waren schon vor der Coronakrise fertig. Überproduktionen waren in vielen Branchen an der Tagesordnung. Auch die Geldschwemmen vieler Nationen sowie ein völlig entfesselter, annähernd kannibalistischer Neoliberalismus waren und sind Zeugnis eines Kapitalismus in seinem Endstadium, ungeachtet der Coronakrise.
Wir sind Zeugen eines Resets.
Dass die Welt von morgen nie wieder so sein wird, wie wir sie gerade jetzt noch kannten, ist mittlerweile allen bewusst. Allerdings sind die Folgen bisher nur als Silhouette erkennbar: Die Coronakrise stärkt Staaten und Institutionen und schwächt die Auswüchse des neoliberalen Kapitalismus ab – so jedenfalls die Hoffnung vieler. Und dass die Billionen Fördergelder und Zuschüsse zuallererst für nachhaltige Entwicklungen investiert werden, primär an Unternehmen, die dahingehend zukunftsfähig sind.
Jedenfalls sorgt die Flut von Fördergeldern und Zuschüssen für immer mehr Abhängigkeiten seitens der Unternehmen, denn Staaten regulieren, verbieten und orchestrieren in einer Weise, die in dieser Form bisher nur in klassischen Planwirtschaften üblich war – und das in atemberaubendem Tempo.
Die konkreten Ziele sind aber noch unklar. Die globale Gemengelage ist diffus. Da gibt es diesen „Ost gegen West“-Konflikt, denken wir an Huawei (Android-Konflikt), an TikTok, 5G etc.: Der digitale Weltkrieg ist längst entfacht. Daneben verschmelzen politische Institutionen immer weiter mit Interessen der Wirtschaft – zu erkennen am Beispiel WHO, wo Bill Gates schon vor dem Austritt der USA einen Anteil von zehn Prozent hielt und natürlich seine Interessen dort durchzusetzen versucht. Grundsätzlich legitim und brandgefährlich zugleich.
Lobbyisten und NGOs sind ebenfalls ein wesentlicher Machtfaktor im globalen Dorf Erde, die wiederum oft nennenswert durch die Wirtschaft finanziert werden. Leider trifft das mittlerweile auch auf weite Teile der Medien zu. Zudem kooperieren die großen Digitalriesen (GAFA: Google, Amazon, Facebook, Apple) längst schon intensiv mit Geheimdiensten und/oder Regierungen und gewähren weitreichende Zugänge auf Kommunikations- und Cloud-Daten von uns allen.
Deep State? Keine Sorge, ich zitiere jetzt keine Verschwörungstheorien. Doch offensichtlich hat sich längst eine Koalition zwischen der globalisierten Industrie und einigen Staaten gebildet – eine Art globale Instanz, ein Schattenparlament oberhalb der offiziellen Parlamente, verbunden durch zahllose, international miteinander verwobene und verlinkte Organisationen, die offiziell auftreten.
Lobbyismus, Globalisierung oder neuerdings eben auch diese zunehmende Planwirtschaft sind aber deshalb keine generellen Schimpfwörter, aber auch nicht harmlos. Es ist unvorstellbar komplex.
Vielleicht müssen wir einmal mehr nach China blicken, um eine Idee davon zu bekommen, wohin sich „der Westen“ gerade bewegt. Dort sehen wir irgendwas zwischen sozialistischer Marktwirtschaft und, eher noch: plutokratischer Planwirtschaft. Auch bei uns fühlt es sich schon seit geraumer Zeit so an, als würde uns die Industrie unsere Parlamente quasi stiften, um den Schein einer Demokratie zu wahren und mit uns Bürgern im Dialog zu bleiben. Dass die, die gewählt sind, nichts entscheiden können und die, die entscheiden, nicht gewählt wurden, hat ja bereits Horst Seehofer vor einigen Jahren mit Blick auf die pharmazeutische Industrie in einem Interview völlig resigniert und desillusioniert genauso festgestellt.
Bedenken wir aber auch, dass es den meisten Menschen in Europa und vielen Menschen weltweit nie besser ging als heute – trotz aller berechtigter Kritik am Kapitalismus. Darum greift mir eine pauschale, allzu reflexartige, stumpfe Kritik „am System“ zu kurz. Ob die Regierungen und Institutionen ihren Einfluss künftig stärken können, etwa wie in China, wo ein autokratisches Einparteiensystem das Land höchst effizient lenkt und die Wirtschaft reguliert, oder ob es eher in Richtung eines geldgetriebenen Schattenparlaments in einer Ebene oberhalb der Parlamente geht, bleibt ungewiss. Vielleicht ist es am Ende auch egal, da sich ein „Deep State“ nach westlichem Modell und ein autokratisches Einparteiensystem à la China wahrscheinlich sehr ähnlich sind – jeweils fragwürdige Machtstrukturen.
So oder so: Derzeit hoffe ich, dass diese historischen Veränderungen, die jetzt gerade mit der Coronakrise einhergehen, mit realen Chancen für eine globale, nachhaltige Entwicklung daherkommen. Diese Krise hat auch einige positive Entwicklungen gepusht. Plötzlich ist vieles binnen Wochen möglich, was bisher Jahre dauerte.
Jetzt geht es darum, mitzumischen, die nachhaltige Entwicklung von innen heraus zu fördern, die bestehenden Strukturen zu nutzen, selbst Lobbyarbeit zu betreiben, die eigenen Überzeugungen öffentlich zu machen und damit selbst Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Welt zu nehmen.
Corona hin oder her: Ein Reset war jedenfalls ohnehin längst überfällig.
Jürgen Zietlow