Print und die Krisen-Kräfte
Die Superpower von Print hat sich im Umfeld einer ausgereiften Digitalisierung behauptet. Doch die digitale und nachhaltige Transformation zerrt immer ruppiger am Universum der schwarzen Kunst – an liebgewordenen Traditionen und Gewohnheiten. Silodenken ist keine Option mehr. Was fehlt, sind Visionen, die Opfer rechtfertigen.
Seit Beginn der Corona-Pandemie fügt sich vieles nicht mehr richtig zusammen. Wir erleben die unkalkulierbarsten Jahre seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine reale Zeitenwende also, die jeden von uns bewegt und betrifft: Inflation, drohende Rezession, gestiegene Energiepreise, wieder zunehmende Pandemie-Restriktionen, der eskalierende Krieg in der Ukraine. Daneben ein scharfer Rechtsruck in der EU. Schweden und Italien folgten auf Polen und Ungarn. Das läuft dem „Soul of Europe“ entgegen.
Was tun? Abwarten? Soweit möglich einfach so weitermachen? Konsolidieren? Gesundschrumpfen? Gerade jetzt investieren, gar expandieren?
Die Summe der Krisen richtet ein strategisches Tohuwabohu in unseren Köpfen an. Viele warten ab, eine Haltung, die förmlich in der Luft liegt. Unterschwellig schwelt ein ungutes Gefühl, dass die bestehenden Krisen noch nicht den Peak markieren. Immerhin: jede Krise entfaltet teils gewaltige transformatorische Kräfte, denken wir nur an Themen wie Homeoffice oder Videokonferenzen, die durch Corona enorm gepusht wurden, mit durchaus positiven Effekten. Auch die rasant steigenden Energiepreise werden im Endeffekt positive transformatorische Kräfte entfalten. Leider auf Kosten unserer Leistungsträger:innen. Zu viele Unternehmen werden die kommenden Wintermonate wirtschaftlich vermutlich nicht überleben. Andere wiederum klagen derzeit auf hohem Niveau.
Und dann ist da noch die Klimakrise.
Der Klimawandel entwickelt sich zur bedrohlichsten aller Krisen.
Faktencheck Klimawandel
Natürlich: Klimaleugner und Relativierer haben Hochkonjunktur. Niemand hat Bock auf dieses Thema, solange es nicht akut bedrohlich wird bzw. die eigene Existenz nicht unmittelbar betroffen ist. Zu Erinnerung:
Neben den bisher vielen erdgeschichtlichen Klimaveränderungen, wird der aktuelle Klimawandel zusätzlich durch jährlich 35 Milliarden Tonnen menschgemachten Kohlendioxids sprichwörtlich angeheizt, besonders auch durch Gas. Die Menschen blasen etwa hundert Mal mehr klimarelevante Gase in die Atmosphäre, als alle Vulkane auf der Welt selbst in ihrer aktivsten Zeit jährlich emittiert haben. Vulkane galten bis dato als die Hauptursache für klimatische Veränderungen, quer durch die Jahrmillionen. Schon heute herrschen nachweislich (Eiskernbohrungen) andere Klimaverhältnisse als während des gesamten zurückliegenden Quartärs (rund 2,7 Millionen Jahre), etwa die Zeit also, in der sich die Menschheit entwickelte. Tendenz: sehr stark steigend. Heute leben etwa die Hälfte der Menschen in gefährdeten Küstenregionen. Noch nie hat ein Klimawandel fast acht Milliarden Menschen betroffen. Da tickt eine gigantische Zeitbombe im globalen Format.
Diese und viele weitere evidente Fakten legitimieren die Konzepte der Agenda 2030, die Vision der 17 SDGs (Ziele für Nachhaltige Entwicklung) die Idee einer dekarbonisierten Wirtschaft, eine konsequent nachhaltige Medienproduktion und den entschlossenen Abgesang auf fossile Energieträger, insbesondere von Öl, Gas und Kohle.
Unbegrenztes Wachstum in einer Welt mit begrenzten Ressourcen, selbst grünes Wachstum, wirkt diametral zu einer nachhaltigen Transformation.
Die Abkehr aus der bisherigen Realitätsverweigerung erfordert jetzt Maßnahmen, die bitter sind. Doch ungleich bitterer wäre es, die Warnsignale weitere Jahre zu ignorieren. Die Folgen würden uns vermutlich langsamer treffen als durch aktuelle Maßnahmen, jedoch spätestens unsere Kinder umso heftiger.
Zweifler an der nachhaltigen Transformation sind nicht etwa ungebildet, sondern gleichgültig. Teils bezahlte Trolle, die sich der populistischen Ideologie von Klimaleugnern anschließen, nebst Fake-News. Applaudierer gibt es derweil noch genug. Möge alles bitteschön so bleiben wie es einst war!? Wer würde sich das nicht wünschen?
Wo sind die Visionen, die uns triggern?
Um der miesen Stimmung in der Wirtschaft und Gesellschaft entgegenzuwirken, bräuchte es eine klar formulierte, politische Vision. Eine gigantische Marketingkampagne die visualisiert, wie die EU 2030 oder 2050 aussehen könnte.
Im Jahr 2000 trat das erste Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft, initiiert von der damaligen Rot-Grünen Regierung unter Gerhard Schröder. Die Welt staunte nicht schlecht. Deutschland war ein blühendes Vorbild, bis die Regierung unter Angela Merkel das Tempo wieder verlangsamte. Deutschland verlor seine Spitzenstellung. Andere Länder profitierten. Die Energiewende wurde zur gähnend langweiligen Pflichtkür. 16 Jahre also, in denen z. B. schon Hunderte Milliarden Euros in diesen Sektor hätten investiert werden können, um jetzt davon zu profitieren. Eine historische Chance wurde verspielt, was uns heute ungleich mehr Geld kostet.
Ich glaube immer noch an diese EU, mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 14.447 Milliarden Euro. Wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, nach den USA und China und repräsentieren über 20 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Eine Gemeinschaft von fast 450 Millionen Menschen.
Deutschland und Europa haben immer noch die Kraft, mutige politische Entscheidungen zu treffen, die schon mittelfristig enorme Erfolge versprechen. Ich denke an die Wasserstofftechnologie, den aktuellen Bau neuster Batteriewerke, an die wiederbelebte Chipindustrie (kraft massiver EU-Förderungen) oder die Pläne, auch die Solarindustrie in der EU wieder fit zu trimmen.
Auch die Chinesen fördern ihre Wirtschaft auf vielschichtige Weise. In vielen Cleantech- bzw. Green Economy-Bereichen sind Unternehmen der EU nach wie vor führend, auch Dank Förderungen aus Programmen des European Green Deal.
Not macht erfinderisch und die transformatorischen Kräfte könnten sogar Wunder bewirken. Eine Vision könnte z. B. sein, dass Unternehmen in einer vom internationalen Energiemarkt (und seinen Despoten) unabhängigen EU-Wirtschaft künftig sogar von den günstigsten Energiepreisen weltweit profitieren. Oder, dass Hunderttausende neue, sichere Arbeitsplätze im Bereich sauberer Technologien entstehen. Erstrebenswert Leitbilder sind die Regionalisierung von Teilen der Wirtschaft oder eine regenerative Landwirtschaft und so vieles mehr.
Deutschland oder der EU gelingt es gerade nicht, Visionen zu formulieren, die uns motivieren, heutige Opfer mit klaren Zukunftsvisionen zu verknüpfen. Zu den Visionen zählt sicher nicht, dass eine einzelne Person mit einem Zwei-Tonnen-Tesla oder -Mercedes durch die Gegend brettert. Da ist vieles nicht schlüssig. Es braucht eine klare Definition von grünem Wachstum. Eigentlich müsste es grüne Schrumpfung oder zumindest grüne Transformation heißen. Dazu empfehle ich das neueste Buch der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann “Das Ende des Kapitalismus”, das sicher keine Hommage an den Sozialismus ist, aber neue Ideen für einen gesunden Kapitalismus liefert.
Diese Transformation ist real – sie passiert gerade jetzt, in Echtzeit!
Fakt ist: Bullshit-Companies, Unternehmen also, die Milliarden investieren, nur, um Produkte in den Markt zu pushen, die ohne werblichen Psychoterror niemand bräuchte, sind angezählt. Auch solche Unternehmen, die künftig nichts Reales zur nachhaltigen Agenda beitragen. Steigende CO2- und Energiepreise werden Unternehmen, die sich der Transformation verschließen, früher oder später in die Knie zwingen. Das betrifft auch bestimmte Druckereien und ihre Produkte.
Derweil entstehen zig Tausend neue, intelligente und streng nachhaltig sowie sozial fokussierte Start-ups bzw. hochflexible Lean-Start-ups. Die Erfolgsmessung orientiert sich nicht mehr am Geld allein, sondern wird zunehmend konsequent abseits bisheriger Betriebswirtschaftslehren definiert, z. B. durch: Umwelt- und Nachhaltigkeitsberichte oder durch überzeugende Awareness, Authentizität oder bedingungslose Transparenz.
Die Customer Experience wird zur Sustainable Customer Experience –
besonders in westlich orientierten Ländern. Das ist schon lange keine Öko-Poesie mehr, sondern ein gutes Geschäftsmodell. Gewinne bleiben natürlich erlaubt. Doch am Ende entscheidet allein die Nachfrage über den Cashflow. Beispiele liefern Unternehmer wie der Patagonia-Gründer Chouinard, der sein milliardenschweres Unternehmen an eine gemeinnützige Stiftung übertragen hat. Auch Bill Gates spendete jüngst quasi sein ganzes Vermögen, neben vielen weiteren Beispielen. Nicht völlig selbstlos natürlich, aber doch ein Indiz für die Veränderungen in diesen Jahren.
Auch das Bürgergeld dokumentiert diese Transformation und ist bereits die Version 1.0 des bedingungslosen Grundeinkommens, ein Schritt, den viele niemals für möglich hielten. Und so geht es weiter: Die Irländer testen die 4-Tage-Woche und auch deutsche Recruiter:innen berichten, dass u. a. auch IT-Fachkräfte die 4-Tage-Woche fordern, bei 100 Prozent Homeoffice. Diese beispielhaften Merkmale der Transformation sind ein Statusbericht, keine Philosophie!
Was hat das mit Print zu tun?
Die Themen unserer Brancheninitiative UmDEX/Print sind Nachhaltige Medien und deren Produktionsverfahren. Und ja: Die vorgenannten und viele weitere ähnliche Ereignisse haben sogar sehr viel mit Print und der grafischen Industrie zu tun, denn die mit Beginn der Corona-Pandemie beschleunigten transformatorischen Kräfte betreffen die Medienindustrie unmittelbar, nicht nur mit Blick auf die Energie- und Rohstoffpreise. Auch in Bezug auf die Personalfindung, die Nachfragesituation und also auch bezüglich der strategischen Ausrichtung insgesamt.
Das Konzept der Brancheninitiative nachhaltiger Druckereien UmDEX, die professionelle Nachhaltigkeit bei der Druckproduktion auf ein Fundament nachvollziehbarer Fakten zu stellen, ist das dahingehend wichtigste Statement in der Druckbranche. Druckereien der UmDEX-Klasse zahlen insbesondere auch auf den Klimaschutz ein, so auch die österreichische Druckerei Janetschek GmbH, die mit vielerlei Engagements, konkreten Aktionen, gepaart mit einer hochwertigen Zertifizierung (Quellen) zeigt, dass Ökologie und Ökonomie vereinbar sind.
Printbuyer:innen werden Druckprodukte künftig nur deshalb kaufen, weil sie aus ihrer Sicht wirtschaftlicher, wirkungsvoller bzw. effektiver, exklusiver und/oder daraus resultierend auch im Vergleich zu digitalen Medien nachhaltiger sind. Abgesehen von Druckprodukten, die ohnehin alternativlos sind. Die professionelle Nachhaltigkeit wird bei der Abwägung zwischen gedruckten und digitalen Medien zum kardinalen Faktor. Hier wird es sowohl auf die Produktspezifikationen ankommen als auch auf die nachhaltigen Faktoren der jeweiligen Produktionsstätten.
Autor: Jürgen Zietlow