Patron Carbon
CO₂ ist der Masterfaktor bei der Bemessung der nachhaltigen Transformation – auch in der grafischen Industrie ist die Messung von CO₂-Emissionen und anderer klimaschädlicher Gase in CO₂-Äquivalenz der Maßstab zur Bewertung von Nachhaltigkeit. Die Berechnung des Carbon Footprints umfasst interagierende Wirkungsfaktoren, Referenzwerte und jeweilige Systemgrenzen – und ist eine höchst komplexe Disziplin. Das nachhaltige Image von Print leidet nicht nur durch längst vergangene Mythen oder fehlende Fachinformationen. Bei der konkreten Bemessung der CO₂-Emissionen einzelner Channels fördern große Interpretationsspielräume, etwa bei den Referenzwerten, die Versuchung zur Schönrechnerei.

Der CO₂ (Carbon)-Begriff ist argumentativ eng mit dem Klimawandel verwoben. Die zunehmenden Folgen der Erderwärmung treiben die Dekarbonisierung der globalen Industrien an. Umweltkatastrophen häufen sich: Die Münchener Rückversicherung2) beklagt aktuell die dramatische Folgen aufgrund klimabedingter Naturkatastrophen, die, so wörtlich: deutlich häufiger und heftiger geworden sind. Kaum anderswo werden die Kosten akribischer bilanziert als beim Münchener Versicherer für Versicherungen.
Den Klimawandel gab es immer – das wird dieser Tage häufig betont und es stimmt. Allerdings: Die Schlussfolgerung, deshalb würde der aktuelle Klimawandel nicht von der Menschheit verstärkt, ist unplausibel: Die Menschheit hat seit der Industrialisierung bisher zusätzlich etwa 2.000 Milliarden Tonnen1) Kohlendioxid in die Luft gepustet. Bis das fossile Zeitalter vorbei ist, werden es Schätzungen zufolge 3.200 Milliarden Tonnen(!) sein. Das entspricht grob 18 bis 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, die jährlich zusätzlich freigesetzt und nicht durch den natürlichen Kohlenstoffkreislauf gebunden werden. In Jahrzehnten addiert sich das zu einem Klima-Faktor, auch wenn Ozeane sowie Land und Vegetation im Vergleich dazu gigantische Mengen CO₂ abgeben und aufnehmen.
Die Welt wird davon nicht untergehen.
Doch gegenüber dem vorindustriellen Status ist die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre um fast 50 % auf über 415 ppm in noch nie da gewesenen Tempo gestiegen; das entspricht einer Kohlenstoffmenge in der Atmosphäre von 880 Milliarden Tonnen – der Rest ist in Ozeanen und an Land (Böden, Vegetation etc.) gebunden. Eine neue Untersuchung ergab lt. Universität Tübingen, dass zuletzt vor rund 16 Millionen Jahren der CO₂-Gehalt dauerhaft höher lag als heute, bei rund 480 ppm.
Diese Zahlen verdeutlichen den Einflussfaktor menschengemachter Emissionen in über 100 Jahren. Eine Menge, die das Zünglein an der Klimawaage ist – in einer Ära, in der nie so viele Menschen (ca. 8 Mrd.) betroffen waren und schon 0,5 Grad spürbare Veränderungen verursachen. Klimabedingte Migration nimmt zu. Die Folgekosten steigen und werden vergemeinschaftet.
Masterfaktor CO₂e
Sämtliche klimarelevanten Treibhausgase werden in CO₂-Äquivalente berechnet – ein global einheitliches Maßband. Unsere Welt ist fossil dominant und generell ist alles, was wir tun, mit CO₂-Emissionen verbunden. Darum lautet die Devise, auch in der Druck- und Medienbranche:
Vermeiden – Reduzieren – Ausgleichen.
„Ausgleichen“ implementiert, dass wir eine gewisse Menge CO₂-Emission für die unterschiedlichsten Aktivitäten tolerieren (müssen) – ohne stünden die Volkswirtschaften dieser Welt still. Ein noch weiterführender Ansatz ist das 7-R-Framework:
Reduce, Rethink, Refuse, Reuse, Repair, Repurpose, Recycle,
das mit Blick auf die gesamte digitale und analoge Mediennutzung, also gattungsübergreifend betrachtet, Sinn stiftet. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft steht aber noch für andere Vorteile, die viel zu selten genannt werden. Dekarbonisierung bedeutet, dass die fossile Energie durch Erneuerbare substituiert wird. Daraus erwachsen eine Reihe ökonomischer Vorteile, grob:
- Energie-Souveränität: Sicherheit durch Unabhängigkeit von despotischen oder kritischen Drittstaaten.
- Preisstabilität: Mittelfristige sinkende Energiepreise, die sich schon jetzt bemerkbar machen.
- Energie-Reichtum, durch Erzeugung, Anlagenbau, Speicherung etc. Die Wertschöpfung bleibt hierzulande, oft sogar in den Regionen.
- Regional Economy: Dezentralisierungs- und Regionalisierungseffekte, da viele Landkreis oder Bürgerinitiativen in regionalen Gemeinschaftsprojekten Energie selbst erzeugen. Das stärkt die regionale Resilienz, nebst regionalen Arbeitsplatzeffekten.
- Kaufkraftsteigerung: Gewinne aus Bürgerkraftwerken verbleiben bei vielen kleinen, statt wenig großen Investoren, zumeist in den Regionen der Stromerzeugung mit entsprechenden Kaufkrafteffekten.
- Green Economy: Enorme Wirtschafts- und Arbeitsplatzeffekte im Green-Technology-Segment. Expert:innen rechnen mit Hunderttausenden neuen Arbeitsplätzen.
- Generationen-Deal: Vorausschauende, enkeltaugliche Energie- und Wirtschaftspolitik.
- Risikovermeidung: Fossile Energieträger sind endlich. Die Transformation der Energiesysteme braucht noch 25 bis 30 Jahre, wenn das Tempo gehalten wird. Sonst viel länger, mit dem Risiko extremer Preissteigerungen, bei sinkender Verfügbarkeit von Öl und Gas.
Scopes for Hopes
In Deutschland wurden 2023 rund 673 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente (CO₂e) freigesetzt. Mit Blick auf Print kann die Kirche aber im Dorf und die gedruckte Bibel auch in der Kirche bleiben, denn:
- Jeder Deutsche verbraucht pro Kopf knapp 8.000 Kilo CO₂-Äquivalente.
- Der digitale CO₂-Fußabdruck davon beträgt pro Kopf/Jahr 850 Kilo, etwa 10,6 %.
- Der Fußabdruck des gesamten Papierverbrauchs davon beträgt pro Kopf/Jahr 135 Kilo CO₂, etwa 1,7 % vom gesamten Fußabdruck.
- Der CO₂-Fußabdruck grafischen Papiers davon liegt pro Kopf/Jahr bei knapp 0,4 % (22 % des gesamten Papierverbrauchs ist grafisches Papier).

Jeder der 84,5 Millionen Deutschen verbraucht im Mittel 220 Kilo Papier pro Jahr. Die Herstellung einer Tonne Papier verursacht zwischen 400 und 800 Kilo CO₂-Emission – bei grafischen Papieren, für klassische Druckprodukte wie Zeitschriften, Magazine, Bücher, Broschüren oder Beilagen sind es im Mittel rund 600 Kilo Emissionen pro Tonne hergestelltem Papier. Dazu kommt der Druckprozess, der im Mittel aller Erhebungen je Tonne bedrucktem Papier etwa 415 Kilo CO₂-Emissionen emittiert. Die Faustformel über alle Quellen hinweg:
Je Kilo bedrucktem Papier entstehen etwa ein Kilo CO₂-Emissionen
Mit Blick auf den gesamten Papierverbrauch in Deutschland verbraucht jede/r Deutsche/r das mit Abstand meiste Papier für Versandverpackungen sowie Hygienepapiere und davon
nur zu 22,18 % grafische Papiere,
wie sie für Druckprodukte verwendet werden. Das relativiert die Zahlen: Nur auf diese grafischen Papiere fokussiert, liegt der Papierverbrauch bei rund 42,16 Kilo pro Kopf/Jahr. Unbedruckt entspricht das einem CO₂-Anteil von 25,97 Kilo CO₂:
Der Anteil von bedrucktem Papier beträgt 44,94 Kilo CO₂ pro Kopf/Jahr – das sind vom gesamten CO₂-Fußabdruck pro Kopf/Jahr rund 0,6 %.
Diese belastbaren Zahlen überraschen Printbuyer:innen regelmäßig und sorgen für Staunen, denn: Das nachhaltige Image von Print ist, besonders im Vergleich zu digitalen Kommunikationsmedien, häufig selbst bei Agenturen, tendenziell schwach ausgeprägt. Blicken wir auf das
Preis-Wirkungs-Nachhaltigkeits-Verhältnis:
Vor dem Hintergrund dieser Eckdaten werden digitale Channels aktuell neu und kritischer bilanziert. Jetzt öffnen sich Handlungsspielräume für Printbuyer:innen und Agenturen. Haptische Medien sind für ihre besondere Wirkung längst bekannt – werden aber jetzt auch als besonders nachhaltige Channels identifiziert.
Darum fehlt Print bis ein lupenrein nachhaltiges Image
Print hatte lange Zeit kein explizit nachhaltiges Image, weil immer noch die Annahme verbreitet war, dass für Druckprodukte große, gewachsene Bäume gefällt oder gesunde Mischwälder gerodet werden.
1) Print, Wald, Holz
Dieser Mythos rührt aus Informationen des vergangenen Jahrhunderts, wo das Abholzen primärer Urwälder speziell für die Bau-, Möbel- aber auch Papierindustrie ein reales Problem war. Historische Ereignisse, die bis heute nachhallen. Die Gegenwart ist eine andere, obwohl vielen Printbuyer:innen nicht bekannt ist, wie sich grafisches Papier zusammensetzen:
- Grafisches Papier besteht im Mittel zu 55 % aus Altpapier3).
- Der verbleibenden Anteil von rund 46 % Primärfasern besteht zu rund 40 % aus inländischen Ressourcen, etwa: Sägenebenprodukte, Durchforstungsholz und Schadholz (Bruchholz, Sturmholz, Totholz), Schwach- bzw. Dünnholz, aus insektenbefallenem Holz (Käferholz) sowie aus zertifizierten Industriewäldern.
- Rund 60 % dieses Primärfaseranteils sind Importe, vornehmlich aus der EU und zu einem Anteil von rund 12 % auch aus kritischen Ländern wie Brasilien, Indonesien, Chile oder Uruguay,
- wobei davon wiederum 80 % von FSC-zertifizierten Plantagen (z. B. Eukalyptus-Plantagen) stammen.
- Bezüglich der im vorherigen Jahrhundert thematisierten Abholzung von Urwäldern für die Holzproduktion kann, Stand 2024, für grafisches Papier anhand belastbarer Quellen nachgewiesen werden, dass der Anteil nicht zertifizierter Rohstoffe aus kritischen Ländern nicht über 0,5 % bis 0,7 % liegt.
- Alle vorliegenden Quellen weisen darauf hin, dass die weltweite Rodung oder Umwandlung von primär- und naturnahem Wald überwiegend anderen Zwecken als der Papierherstellung dienen4).

Beispielsweise das bifa Umweltinstitut formuliert es so: „Auch wenn ein Teil der Wälder genutzt wird, um unter anderem Holz für die Papierherstellung bereitzustellen oder in einigen Regionen Südamerikas Naturwälder immer noch Holzplantagen zur Deckung des weltweiten Holzbedarfs der Zellstoff- und Papierindustrie weichen sollen, weisen die vorliegenden Quellen und Hinweise darauf hin, dass die weltweite Rodung oder Umwandlung von Primär- und naturnahem Wald überwiegend anderen Zwecken als der Papierherstellung (Landwirtschaft, Siedlungsbau, Bauindustrie etc.) dient.“
Zudem sind die noch vor 30 Jahren nennenswerten Importe von Papier und Zellstoff etwa aus Brasilien in den vergangenen 15 Jahren um über 85 % zurückgegangen – zwischen 2022 und 2023 nochmals um über 25 %.
Hinzu kommt, dass u. a. die Wälder in Deutschland aktuell
nicht mehr, wie erwartet, zur Speicherung des klimaschädlichen Treibhausgases CO₂ beitragen, sondern im Gegenteil: CO₂ emittieren.
Das ist das Ergebnis der jüngsten Bundeswaldinventur (BWI), die Bundesminister Cem Özdemir Ende 2024 vorgestellt hat. Anders formuliert: Kranke Altbestände, Schadholz, Sturmholz und so weiter müssen entnommen werden, damit gesunde Bäume keinen Schaden nehmen und in der Wachstumsphase CO₂- speichern können – die Wälder sollen stärker aufgeforstet werden. Durch ihre FSC-Beiträge zählt die Druck- und Papierwirtschaft zu den großen Förderern der zertifizierten Waldwirtschaft hierzulande und finanziert wichtige Aufforstungsprogramme.
Der „Baum-fällt-für-Papier-Mythos“ hält sich jedoch zäh,
gepaart mit einer Poesie rund um den Baum und das Wirtschaftsgut Holz.
2) Digital fühlt sich nachhaltiger an
Eine pauschale Aussage, ob die gedruckte oder digitale Gattung oder ob bestimmte Channels nachhaltiger sind als andere, ist unmöglich, doch:
Print ist oft gefühlt weniger nachhaltig als digitale Medien.
Die Vorstellung, dass eine Website oder eine E-Mail veritable Mengen CO₂-Emissionen verursachen, erfordert mehr abstraktere Vorstellungskraft als beim physischen Medium, etwa einem Prospekt.
3) Handelsketten: Festlegung mit Selbstzweifeln
Zuletzt haben einige große Handelsketten in Deutschland mit dem Argument des Umweltschutzes angekündigt, deutlich weniger drucken zu wollen. Dazu wurden zwar einerseits die Mengen genannt, die an Papier eingespart würden – allerdings, ohne die Bilanzierung durch Nennung der dafür eingesetzten digitalen Substitute korrekt zu schließen. Die Frage blieb offen:
Wie viele digitale Einheiten werden benötigt, um eine Einheit Print im Rücklauf zu substituieren, mit welchen alternativen CO₂-Emissionen?
So freundlich die Absichten zunächst klangen: Tatsächlich waren wirtschaftliche Gründe maßgeblich: Während der Corona-Krise sind die Papierpreise teils um über 300 Prozent gestiegen, auch die Mindestlöhne für die Austräger:innen. Oft ging es mehr um Gewinnmaximierung als um die Nachhaltigkeit.
Zwischenzeitlich haben einige Handelsketten ihre Entscheidungen teilweise revidiert. Andere haben sich auf Digital festgelegt – offensichtlich mit gewissem Unbehagen. Einen Wettbewerb gibt es nicht nur auf Agentur-Ebene, mit Blick auf die Gattungen Print und Digital. Auch innerhalb bestimmter Branchen, etwa in der Baumarktbranche, gibt es Handelsunternehmen, die, wohl nicht ganz uneigennützig, engagiert betonen, wie zufrieden sie mit ihrem nunmehr digitalisierten Marketing sind – oft durch geradezu dramatische Aufrufe gegenüber anderen Handelsketten begleitet, selbst „dem nachhaltigen Beispiel“ zum Wohle der Umwelt zu folgen. Die Sorge, dass Konkurrenten die hinterlassenen Lücken beim wirkungsmächtigen Medium Print schließen könnten: Sie ist offensichtlich übergroß.
4) Agenturen verlieren Alleinstellungen
So oder so ist nicht nur der Briefkasten, sondern insbesondere auch der digitale Raum endlich.
Wenn 1.000 Agenturen für 30.000 Kunden aus derselben Branche zur selben Zeit in denselben digitalen Räumen dieselben Keywords buchen, wird es eng.
Auch auf einer noch so modernen, vierspurigen Autobahn wird sich der Verkehr stauen, wenn sie alle zur selben Zeit nutzen wollen. Die Anzahl der Apps auf unseren Smartphones steigt exponentiell.

Einige Digitalagenturen, die ihr Geld ausschließlich mit digitalen Dienstleistungen verdienen, stärken das Framing von der weniger nachhaltigen Gattung Print. Wenn schon die Rentabilität digitaler Medien nicht immer überzeugt, sollen Argumente der Nachhaltigkeit dazu beitragen, die Digitalisierung des Marketings voranzutreiben – mit faktisch nicht evidenten Erzählungen.
Digitalagenturen stehen unter enormem Wettbewerbsdruck. DSGVO mit Double opt-in und Cookie Consent erschweren das Geschäft. Rasend schnell übernimmt KI einen großen Teil klassischer digitaler Dienstleistungen (Hyper-Automatisierungen). Immer mehr Soloselbständige und Kleinstunternehmer:innen drücken die Stundensätze.
Print bietet Agenturen in diesem Umfeld reale Abgrenzungsmerkmale: Haptische Medien erfordern persönliche Kenntnisse, gute Kontakte und Beziehungen und oft ein physisches, materielles, haptisches Feeling, ein Bauchgefühl, das sich durch KI nicht ersetzen lässt.
Doch wie lassen sich Channels in der Marketingkommunikation in puncto Nachhaltigkeit generell miteinander vergleichen?
Wenn Print nachhaltig derart punkten kann, nicht zuletzt weil sämtliche Papierhersteller professionell nachhaltig zertifiziert produzieren, könnte so manches Budgets ins haptische Marketing umgeschichtet werden. Bleibt die Frage nach belastbaren Mess- bzw. Vergleichsmethoden.
Gattungs-Wettbewerb: The Winner is?
Wie soll das funktionieren? Jedes Kommunikations-Szenario ist grundlegend unterschiedlich und bildet (s)eine individuelle Summe diverser, miteinander interagierender Faktoren (Referenzwerte), Beispiele:
- Digitale Kanäle: Nutzungsdauer, Geräteeigenschaften, Gerätebau, Geräte-Entsorgung, Serverfarmen, Knotenpunkte, Datenvolumen (E-Mail, digitaler Prospekt etc.), Öffnungsrarten, Speicherverhalten der Endnutzer, Lesedauer (Viewtimes), Spezifikationen bei Absendern, etc.
- Analoge Kanäle: Format, Formatierung, Material (Papiersorte), Grammatur, Veredelung, Druckprozess, Weiterverarbeitung, Versandwege, Umfang je Druckwerk, etc.
Diese Referenzwerte lassen sich in drei Kategorien:
- Nachhaltigkeit
- Wirkung (Konfiguration des Channels) und
- Preis
einsortieren und interagieren miteinander – das erschwert exakte CO₂-Vergleiche erheblich.
Eine vergleichende, seriöse CO₂-Bilanzierung von Channels bedingt ausnahmslos Einzelfallbetrachtungen und klar definierte Referenzwerte.
Als Bewertungsgrundlage diente ein internationales Regelwerk, das vor rund 35 Jahren entwickelt wurde: Das Greenhouse Gas Protocol (GHG–Protocol, vgl. Beitrag XXX) ist ein weltweit anerkannter Standard zur Messung und Verwaltung von Treibhausgasemissionen. Es deckt drei Emissionsbereiche ab (Scope 1 bis 3):
- Scope 1: Direkte Emissionen aus eigenen oder kontrollierten Quellen
- Scope 2: Indirekte Emissionen aus der Erzeugung von gekaufter Energie und
- Scope 3: Indirekte Emissionen innerhalb der Wertschöpfungskette.
Scope 3 umfasst 15 vor- und nachgelagerte Emissionen außerhalb des eigenen Unternehmens – bei Print zählt z. B. die Papierproduktion als ein sehr gewichtiger Faktor zu den vorgelagerten Emissionsfaktoren. Bei der Bewertung von digitalen Channels sollten nach Ansicht von Expert:innen Gerätebau und -entsorgung nicht „out of Scope 3“ sein. Die CO₂-Menge kann zur Bemessung der Nutzung eines digitalen Prospektes, ausgehend von der Nutzungsdauer des Gerätes von z. B. 3,5 Jahre, exakt bis auf die Minuten genau der Nutzung z. B. eines digitalen Prospektes zugewiesen werden.
Das GHG-Protokoll bewertet grundsätzlich keine einzelnen Produkte. Geregelt ist aber, wie Vergleiche, etwa zwischen gedruckten und digitalen Channels, dokumentiert und kommentiert werden müssen. Welche Systemgrenzen (z. B. Papier) und welche Referenzwerte (z. B. 45 Gramm) bei Vergleichen in den Scopes gewählt werden, ist nicht vorgeschrieben – allerdings, dass bei Benchmarks z. B. zwischen Media-Channels möglichst vergleichbare Scopes (zu bewertende Bereiche) herangezogen und innerhalb dieser Grenzen vergleichbare Referenzwerte zugrundegelegt werden.
Die Scopes wechselwirken mit den festgelegten Referenzwerten zu theoretisch unzählig vielen individuellen Einzelfällen.
Das verdeutlicht, wie vielschichtig Vergleiche sind bzw. wie schwierig generelle vergleichende Aussagen über die Nachhaltigkeit konkurrierender Channels sind.
Bewertung der Wirkung
Das EHI-Retail Institute hat überhaupt erstmals eine Studie durchgeführt und einige Medienkanäle bezüglich dessen Umweltfaktoren verglichen. Um die jeweiligen CO₂-Emissionen annäherungsweise seriös miteinander zu vergleichen, wurde innerhalb eines festgelegten Rahmens (Scopes und Referenzwerte) die Messgröße „1.000 Kontakte“ herangezogen, grob:
Wie viele Einheiten müssen im Channel A, im Channel B etc. eingesetzt werden, um 1.000 Kontakte zu erreichen?

Zur Bemessung des Rücklaufs im Sinne der Quantität von Einheiten eines Channels (Druckwerke, E-Mails etc.) wurden Daten aus Studien, Umfragen, Erhebungen, aus der Marktforschung und Befragungen abgeleitet, was mit Unschärfen behaftet ist: Zur Erfolgsmessung „des Marketings“ innerhalb eines Unternehmens oder von Rentabilität einer ganz bestimmten Kampagne haben sich zwei Methoden bewährt:
- Return on Marketing Invest (RoMI, Umsatz/Kosten-Verhältnis) und
- Return on Ad Spend (RoAS, Rentabilität konkreter Marketingmaßnahmen) etabliert.
Angaben verschiedener beteiligter Unternehmen wurden als Basis für Annahmen gemittelt, ohne Berücksichtigung weiterer signifikanter Parameter wie z. B. die Werbewirkung einzelner Channels oder einzelner Kampagnen.
Print und Digital häufig gleichauf
Die eingangs erwähnten Werte für Print, grob: 1 Kilo bedrucktes Papier entspricht einem Kilo CO₂, decken sich mit dem Studienergebnis. Bei den Referenzwerten z. B. für die Berechnung einer E-Mail (Datenvolumen, Öffnungsrate, Viewtime etc.) bleibt eine sehr hohe Variabilität bestehen. Nicht überraschend also, dass diese Referenzwerte hier sehr flexibel interpretiert werden. Gerade, da im digitalen Marketing, schon wegen der Komplexität der Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten, im Vergleich zu Print weniger präzise Daten, etwa Bilanzen, vorliegen.
Forschungsbereichsleiterin Marlen Lohmann: „Ein Unsicherheitsfaktor besteht in der Datengranularität zwischen Print- und Digitalmedien, wobei für Printmedien oftmals detailliertere Informationen vorhanden sind.“
Das erleichtert die „Optimierung“ der Werte zugunsten von digitalen Channels. Umso mehr überrascht, dass einige CMOs oder Agenturleiter so progressiv damit werben, dass bei der Digitalisierung des Marketings im Wohle der Nachhaltigkeit gehandelt wird. Im Vergleich zu was?
Fast immer fehlen überhaupt einmal wettbewerbsrechtlich korrekte Angaben über die CO₂-Outputs digitaler Channels, die statt eines Druckwerks, beispielsweise einer Beilage, emittiert werden, seien sie noch so wohlwollend interpretiert.