KI löst keine Kulturprobleme

Interview: Jürgen Oberngruber, COO Premedia

„KI löst keine Kulturprobleme – sie macht sie sichtbar.“

Vier Jahrzehnte nach seiner Gründung steht das Welser Unternehmen Premedia, heute einer der führenden Technologiedienstleister für Marketing-Organisationen, exemplarisch für jene tiefgreifende Veränderung, die die Kommunikationsbranche aktuell prägt. Was früher ein weitgehend manueller, linearer Prozess war, ist inzwischen ein komplexes Zusammenspiel aus Daten, Automatisierung und zunehmend KI-gestützten Workflows. Mit den technologischen Möglichkeiten wachsen zugleich die organisatorischen Anforderungen: Teams müssen interdisziplinärer arbeiten, Verantwortlichkeiten klarer werden und Entscheidungen schneller fallen.

© Premedia
Jürgen Oberngruber, COO Premedia
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Jürgen Oberngruber, COO und Partner von Premedia, verantwortet seit vielen Jahren die Bereiche Delivery, Organisation und Innovation. Der frühere IBM-iX-Manager hat die Transformation des Unternehmens wesentlich mitgestaltet und gilt als eine der profiliertesten Stimmen, wenn es um die praktische Umsetzung von Technologie in Marketingprozessen geht. Für ihn liegt das eigentliche Potenzial von KI nicht in neuen Tools, sondern in der Art und Weise, wie Organisationen sie nutzen – und wie bereit sie sind, bestehende Muster zu hinterfragen.

Im Gespräch mit dem MedienManager erläutert Oberngruber, wo Unternehmen beim Thema KI heute wirklich stehen, warum Technologie allein keinen Fortschritt garantiert und weshalb es künftig weniger um Tools und mehr um Wirkung gehen wird.

Herr Oberngruber, Premedia feiert 40 Jahre. Was sagt diese Zahl über die heutige Realität im Marketing aus?

40 Jahre zeigen vor allem eines: Nichts bleibt, wie es ist. Die Anforderungen an Vertriebs – & Marketingorganisationen haben sich radikal verändert. Von klassischen Produktionsprozessen hin zu datengetriebenen, hochgradig automatisierten Workflows. Was konstant geblieben ist: Unternehmen müssen schnell reagieren, effizient arbeiten und klare Entscheidungen treffen. Die Geschwindigkeit hat sich vervielfacht, die Komplexität auch.

Viele sprechen über KI im Marketing. Sie arbeiten täglich in realen Kundensystemen. Wo stehen Unternehmen heute wirklich?

Wir sehen zwei Realitäten: Erstens Organisationen, die konkrete Probleme lösen wollen – Skalierung, Time-to-Market, Qualitätskonsistenz. Dort funktioniert KI gut. Zweitens Organisationen, die KI „einführen wollen“, aber ohne klaren Anwendungsfall. Dort scheitert sie.

Aus meiner Sicht ist es wichtig, KI nicht als Technologie- oder IT-Projekt zu betrachten, sondern als zusätzliche betriebliche Ressource. In den USA sieht man das bereits deutlich: KI-Agents werden dort wie Mitarbeiter:innen geführt – sie gehören zum Team, haben klare Aufgaben und sogar eine direkte „Linienverantwortung“.

Wenn Organisationen KI hingegen in einen Expert:innen-Silo stecken oder als isoliertes Projekt betrachten, entsteht mehr Aufwand als Nutzen. KI muss dort verankert sein, wo Entscheidungen und Arbeiten tatsächlich passieren – sonst bleibt sie Theorie.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Hürden?

Die größte Hürde ist nicht die Technologie. Die Hürde ist Organisation: unklare Verantwortlichkeiten, Silos, fehlende Prozessreife. KI verstärkt diese Probleme – sie löst sie nicht. Wenn Daten nicht sauber strukturiert sind, Workflows nicht definiert und Entscheidungen zu lange dauern, wird jede KI-Implementierung zur Dauerbaustelle.

Die Rede ist oft von „Agentic AI“. Was bedeutet das für Vertriebs & Marketingteams?

Agentic AI bedeutet, dass Systeme nicht nur auf Anfragen reagieren, sondern eigenständig Schritte setzen: Content generieren, Varianten erstellen, Workflows anstoßen. Das ist technisch beeindruckend – organisatorisch aber herausfordernd. Wenn Teams nicht bereit sind, Verantwortung abzugeben oder Entscheidungen früher zu treffen, bleibt Agentic AI ein Prototyp. Der spannende Teil ist neben der Technologie die Frage: Wie verändert sie Rollen, Prozesse und Zusammenarbeit?

Premedia hat sich in 40 Jahren mehrfach neu erfunden. Was war aus Ihrer Perspektive der wichtigste Schritt?

Der wichtigste Schritt war die Abkehr vom reinen Produktionsdenken. Wir mussten lernen, End-to-End zu denken: von Daten über Prozesse bis zur Ausspielung. Heute arbeiten Data Scientists, Softwareentwickler:innen, Prozessarchitekt:innen und Kreative zusammen. Dieser interdisziplinäre Ansatz ist unser größter Hebel. Gleichzeitig war es für uns immer entscheidend, nicht das zu tun, was wir glauben, sondern das, was der Markt wirklich benötigt. Veränderung ist bei uns kein Ausnahmezustand, sondern kulturell verankert. Unser Team weiß, dass sie notwendig ist – und dass sie positiv gedacht werden muss, nicht als Belastung.

Und ganz wichtig: Wir predigen nicht nur „datengetrieben“, wir sind es selbst. Wenn wir von Organisationen verlangen, Entscheidungen schneller und klarer zu treffen, müssen wir das intern genauso leben. Diese Haltung hat Premedia aus meiner Sicht stark geprägt.

Wo sehen Sie bis 2028 die größten Chancen im DACH-Markt?

Die größten Chancen liegen dort, wo Unternehmen Marketing und Kommunikation industrialisieren wollen – skalierbar, automatisiert, datenbasiert. Der US-Markt ist hier eindeutig am weitesten, gefolgt von Teilen des skandinavischen Marktes. Der DACH-Raum holt auf, ist aber deutlich fragmentierter. Gerade deshalb entsteht hier großes Potenzial: Wer Strukturen harmonisieren kann und End-to-End denkt, schafft sofort Mehrwert. Unsere Erfahrung zeigt: Je internationaler eine Organisation, desto größer der Bedarf an klaren Prozessen, guter Datenbasis und verlässlicher Delivery. .

Viele Unternehmen fürchten, dass KI sie austauschbar macht. Wie verhindern Sie das?

Indem wir nicht „KI einführen“, sondern konkrete Probleme lösen. Automatisierung macht niemanden austauschbar, wenn sie sinnvoll eingesetzt wird. Sie schafft Freiräume. Die Differenzierung entsteht aus dem Zusammenspiel von Daten, Technologie und Menschen – nicht aus Tools. Wenn die Organisation das versteht, entsteht Geschwindigkeit, Qualität und Fokus.

Und wenn wir uns zum 45-Jahr-Jubiläum wieder sprechen: worüber würden Sie gerne sprechen?

Darüber, dass KI im Alltag angekommen ist – nicht als Hype, sondern als Teil der Arbeitsrealität. Dass Unternehmen mutiger geworden sind, Entscheidungen früher treffen und Silos abbauen.

 

Über Premedia:

Premedia schreibt über sich: Wir automatisieren Marketing-Prozesse und Content-Produktionen, von der Beratung über die Implementierung bis zum Betrieb. Das tun wir mit 130 Mitarbeitenden, 5 Standorten und Fokus auf den deutschsprachigen Raum. Unser Antrieb seit mehr als 40 Jahren, das Marketing unserer Kund:innen zu vereinfachen.

Näheres unter: https://www.premedia.at/unternehmen/