Anschlag – Terrorberichterstattung als „Gratwanderung“

Bei einer Diskussion haben Journalisten über die Herausforderungen der Berichterstattung rund um den Anschlag in Wien diskutiert. Einig war sich die Runde etwa darüber, keine Videos zu zeigen. In Bezug auf die Veröffentlichung von Fotos des Attentäters war die Meinung dagegen gespalten. Während „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk die Berichterstattung als „schwierige Gratwanderung“ bezeichnete, berichtete Puls 24-Infochefin Corinna Milborn von klaren Richtlinien.

Neben Klenk und Milborn zogen ORF-Journalist und „ZiB 2“-Moderator Martin Thür sowie „heute.at“-Chefredakteur Clemens Oistric bei der Diskussion des Presseclubs Concordia „journalistische Lehren aus der Terrornacht“. Scharfe Kritik hatte es vor allem an der Berichterstattung auf Wolfgang Fellners „oe24.tv“ gegeben. Fellner sei aber bewusst nicht eingeladen worden, „da wir dieses Gespräch mit Menschen führen wollten, die wir als Journalisten für integer halten“, sagte der Moderator der Diskussionsrunde, Stefan Apfl.

„Meine erste Handlung war, Tempo rauszunehmen“, erzählte Milborn. Da sich eine Reporterin und ein Kameramann im Bermudadreieck aufhielten, um über den letzten Abend vor dem Lockdown zu berichten, habe der Newssender von Anfang an live von dort berichtet. „Unsere Aufgabe war hauptsächlich, zu sagen, was wissen wir, was wissen wir nicht und wie sind die Gerüchte einzuordnen. Bildmäßig haben wir uns schnell auf eine große Totale zurückgezogen“, so Milborn. „Das ist im Prinzip Handwerk, aber unter extrem erschwerten Bedingungen durch die persönliche Betroffenheit, weil ja ein Team von uns mittendrin war.“

Seit der IS-Terrorwelle gebe es bei Puls 4 Richtlinien zur Terrorberichterstattung. Wichtig sei, gesicherte Informationen zu liefern, Gerüchte als solche zu kennzeichnen und nicht „das Geschäft des Terrors zu verrichten, indem man sich zum Instrument von Angst und Spaltung macht“, betonte Milborn.

Klenk, der sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der „Falter“-Redaktion beim Schwedenplatz befand, twitterte bereits kurz danach, dass es einen Polizeieinsatz gebe und postete die Nacht über intensiv über die Ereignisse – unter anderem über einen Polizeieinsatz über eine angebliche Geiselnahme auf der Mariahilfer Straße – was ihm Kritik einbrachte.

„Ich habe ein Megafon in der Hand“, sagte Klenk über seine große Reichweite auf Twitter. Dadurch könne er Menschen sehr schnell mitteilen, „Achtung, begebt euch in Sicherheit“. „Ich habe nicht irgendetwas getwittert, sondern Polizeimeldungen“, verteidigte er sich. Es sei lächerlich, so lange über den „Geiseltweet“ zu diskutieren, schließlich sei bestätigt, dass es eine entsprechende Polizeimeldung gegeben habe. „Der Bericht war richtig, der Einsatzgrund hat sich als falsch herausgestellt“, so Klenk. „Es wäre aus meiner Sicht fahrlässig gewesen, die Leute nicht darüber in Kenntnis zu setzen, dass es auch außerhalb der Innenstadt möglicherweise eine Gewalttat gab“, sagte Klenk.

Auch Milborn war der Meinung, es sei wichtig gewesen, über die angebliche Geiselnahme zu berichten. Es sei zwar nicht klar gewesen, ob sie stattgefunden habe, „klar war aber, die Leute sollen nicht auf die Mariahilfer Straße gehen“.

Videos rund um den Anschlag würde auch Klenk nicht zeigen, um die Heldenerzählung des Terroristen nicht zu bedienen und die Einsatzkräfte nicht zu gefährden. Dazu habe er auch mehrmals aufgefordert. „Die Bevölkerung hat ein Recht zu erfahren, was genau da passiert“, zeigte sich Klenk aber überzeugt. „Ich muss die Informationen transportieren ohne die Heldenerzählung zu bedienen, das ist die schwierige Gratwanderung.“

Auch der „Falter“-Chef kritisierte die Veröffentlichung der Videos auf „oe24“ und „Kronen Zeitung“ „angesichts dessen, dass der Innenminister persönlich in Redaktionen angerufen und gesagt hat, ‚bitte keine Videos'“ als „schwerwiegenden Missbrauch“. „Es wäre für uns niemals infrage gekommen, direkt Videos vom Tatort on air zu schicken“, zeigte sich auch Milborn „absolut entsetzt“.

Anders als „oe24“ und die „Kronen Zeitung“ zeigte die Boulevardzeitung „Heute“ keine Videos der Erschießung von Opfern. Für ihn sei klar gewesen, „dass wir dabei bleiben, dass wir rohe Gewalt nicht zeigen“, sagte Oistric. Zu zeigen, wie Wien zusammenrücke, seien für ihn stärkere Bilder als Bilder eines Blutbads.

Besondere Verantwortung trage der ORF, befand Thür, der in der Terrornacht stundenlang von der Salztorbrücke berichtete. „Es war natürlich unsere Aufgabe, ständig dazu zu sagen, das ist bestätigt, das ist nicht bestätigt, zu warnen und gleichzeitig zu bedenken, alles, was wir gerade sagen, könnte möglichen weiteren Tätern auch zu Gute kommen“, sagte er. „Die Rolle eines öffentlich-rechtlichen Senders in so einer Situation ist zu informieren, aber auch, sich zurückzunehmen. Ich glaube nicht, dass Schnelligkeit für den ORF in erster Linie entscheidend ist.“

Auch darüber, ob Medien den vollen Namen und ein Foto des Attentäters veröffentlichen sollen, wurde diskutiert. Er verstehe bis heute nicht, warum die Polizei kein Foto des Attentäters veröffentlicht habe, um herauszufinden, mit wem dieser in Kontakt stand, sagte Klenk. Dass es dadurch zu Nachahmern kommen könnte, glaubt er nicht.

Ganz anderer Ansicht ist Milborn. Zur Erarbeitung der bei Puls 4 geltenden Richtlinien habe man mit Experten gesprochen, um herauszufinden, was zu Radikalisierung führen könne. Ergebnis sei, dass man Fotos nur stark verpixelt und keine Bekennervideos zeige. „Daran halten wir uns“, sagte Milborn. Auch die Veröffentlichung des vollen Namens halte sie für falsch. Erstens sei auf die Familie des Täters Rücksicht zu nehmen, zweitens führe die Nennung von Vor- und Nachnamen dazu, dass man ihn googeln könne. Medien hätten aber die Verantwortung, „nicht der verlängerte Arm des Terrors zu sein“.

Thür konnte ebenfalls keinen Mehrwert durch die Nennung des Namens des Täters erkennen. „Das ändert genau nichts an der Geschichte und daran, wie ich wie ich Bericht erstatten kann.“

Auch darum, was man aus der Berichterstattung über den Anschlag lernen könne, ging es in der Debatte. Milborn betonte die Bedeutung von psychologischer Betreuung für alle, die an dem Tag gearbeitet haben. Wichtig sei jedenfalls auch, Fehler transparent zu machen, sagte Thür. Klenk plädierte dafür, mehr Sicherheitsexperten auszubilden.