„Standard“-User-Daten: Herausgabe verletzte Menschenrechte
Die Tageszeitung „Der Standard“ hat vor Jahren zu Unrecht auf Basis eines Beschlusses des Obersten Gerichtshofs (OGH) User-Daten herausgeben müssen. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Herausgabe verletzte das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgehaltene Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10).
Mehrere von 2011 bis 2013 im „Standard“-Forum veröffentlichte Postings brachten FPÖ-Politiker wie Herbert Kickl (FPÖ) mit Korruption und Nationalsozialismus in Verbindung. Dagegen klagten Kickl und andere Freiheitliche. „Der Standard“ weigerte sich, die User-Daten herauszugeben, löschte aber die Postings. Im Jahr 2014 urteilte der OGH, dass die Herausgabe erfolgen muss – was im Anschluss auch geschah.
„Der Standard“ legte jedoch im Jahr darauf Beschwerde gegen das OGH-Urteil beim EGMR ein, da dieses die Meinungs- und Informationsfreiheit als auch das Redaktionsgeheimnis verletze, wie Medienanwältin Maria Windhager, die den „Standard“ vertritt, ausführte. Sie bemängelt, dass österreichische Gerichte die Herausgabe von Userdaten verlangen, wenn aus Sicht eines juristischen Laien eine Verurteilung wegen Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung nicht ausgeschlossen werden kann. Ein Laie könne allerdings nur in den seltensten Fällen eine Verurteilung dezidiert ausschließen, womit User-Daten praktisch immer herausgegeben werden müssten, argumentiert Windhager. Die Herausgabeverpflichtung erachtet sie als zu weitgehend. Denn dieser Zwang könnte im Endeffekt auch dazu führen, dass Diskussionsforen von Betreibern abgeschafft oder eingeschränkt werden. Zudem sei nicht ersichtlich, warum Daten eines Leserbriefschreibers nicht bekannt gegeben werden müssen, jene von Forenpostern aber sehr wohl.
Rund sechs Jahre später erfolgte nun ein Urteil des EGMR. Die Herausgabe der User-Daten verletzte das Recht auf freie Meinungsäußerung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Bei den Postings handelte es sich weder um Hassrede, noch stachelten sie zu Gewalt auf. Der OGH habe nicht ausreichend auf die Anonymitätsinteressen der User Rücksicht genommen und die Herausgabeverpflichtung nicht ausreichend begründet. Damit sei der freie Austausch von Ideen und Informationen konterkariert worden.
Die Daten der User fallen zwar nicht unter das Redaktionsgeheimnis, da sie sich mit ihren Postings an die Öffentlichkeit und nicht dezidiert an Journalistinnen und Journalisten wenden. Die Verpflichtung zur Herausgabe von User-Daten habe jedoch einen Abkühlungseffekt auf den Austausch in Foren. Das OGH-Urteil sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen, so der EGMR.
„Das Urteil ist schon eine Watsche für den OGH“, sagte Windhager der APA. „Der EGMR hat die Bedeutung der Anonymität für den ‚free flow of opinions, ideas and information‘ erkannt. Wichtig ist hier auch der Hinweis, dass zwischen politischer Kritik und Hate Speech unterschieden werden muss. Bei politischer Kritik ist ein großzügiger Maßstab anzulegen“, so die Medienanwältin. Bei seiner zukünftigen Rechtsprechung müsse der OGH die Kriterien der Art. 10 EMRK berücksichtigen und allfällige Herausgabeverpflichtungen sehr gut begründen.
Eine Klage des „Standard“ auf immateriellen Schadenersatz wurde abgewiesen. Das Urteil, dass die Herausgabe rechtswidrig war, sei ausreichend, so der EGMR. Die Republik Österreich muss der Tageszeitung jedoch angefallene Kosten und Aufwand in Höhe von 17.000 Euro ersetzen.